Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
als eine gespreizte Hand. Bisher ist es ihm kaum einmal gelungen, diesen Schmetterling zu fangen, der meist hoch oben durch das sonnige Geäst des Amazonaswaldes schwebt; ganz langsam, wobei er nur ab und zu mit seinen Flügeln schlägt, aber kaum einmal tiefer als in mehreren Metern Höhe fliegt. Endlich hält Wallace neben dem schönen Morpho helenor auch den bezaubernden Morpho menelaus in den Händen, als er einige Indianerjungen in die Bäume klettern lässt, um die Falter von dort zu fangen. Es sind entzückende Geschöpfe, zart und zerbrechlich, und eine besonders geschätzte Trophäe. Die Schönheit dieser Wesen beweise für die meisten seiner Zeitgenossen hinreichend das Schaffen eines Schöpfers, weiß Wallace; »eines Schöpfers, der auch uns den Sinn für Schönheit, für Formen, für Feinheiten und für leuchtende Farben verlieh«, wie wir bei manchen Schriftstellern lesen. Wallace aber beginnt sich ernsthaft zu fragen, was die Natur mit dieser verschwenderischen Pracht und Schönheit der Schmetterlinge wirklich bezweckt.
Im Wald um die Ansiedlung sieht er Affen und Agutis, die hundegroßen Nagetiere Südamerikas, auch die Coati genannten Nasenbären; außerdem zahlreiche Schlangen und andere Reptilien. Die Indianer bringen ihm neben Vögeln wie etwa den bunten Trogonen vor allem Fische, Muscheln und einmal einen Kaiman – für seine beständig anwachsende Sammlung und als Mahlzeit. Denn anfangs kann er noch auf Proviant zurückgreifen, den er im letzten halbwegs »zivilisierten« Außenposten am Rio Negro ergatterte. Bald jedoch bleibt ihm davon nur der Kaffee; bis ihm auch der ausgeht. Neben Fisch ernährt er sich fortan von »farinha«, einem zwischen den Zähnen knirschenden Mehl aus Maniokwurzeln. Er erträgt die Moskitos und Sandflöhe mit stoischer Gelassenheit, schläft in einer Hängematte, beobachtet das Leben und Treiben der Einheimischen, mit denen er Tag und Nacht auf engstem Raum zusammenlebt. Mit dem Blick des auch stets am Menschen interessierten Naturforschers notiert er ihre Zeremonien und Gebräuche. Nur gelegentlich vermerkt er auch die anmutige Figur einer jungen Indianerin, wenn er sie im Fluss baden sieht, oder bewundert ihre Körperbemalung, die sie bei aller Nacktheit wie angezogen aussehen lässt. Doch schnell widmet er sich dann wieder seiner eigentlichen Aufgabe. Natter’sche Neigungen erlaubt er sich nicht.
Unermüdlich sammelt er Vögel, Fische, Schmetterlinge und Käfer, Säugetiere und Pflanzen. Von den verschiedenen Palmenarten macht er Zeichnungen und Notizen; sie will er in einer eigenen Abhandlung beschreiben. Was nicht trocken aufbewahrt werden kann, etwa Schlangen und andere Kriechtiere, legt er zur Konservierung in »cachaca« ein, einem aus Zuckerrohr gebrannten Schnaps. Einmal vergreifen sich in einem Dorf die von ihm angeheuerten Ruderer an seinem Alkoholvorrat; diesen zu versaufen, meinen sie, sei eine weitaus bessere Verwendung als jene, die Wallace bevorzugt. Seine Sammlung an wertvollen Naturalien wächst und wächst. Ihr Verkauf soll ihm später nicht nur einen sicheren Lebensunterhalt garantieren; inzwischen geht es ihm um mehr. Wallace sammelt Serien von immer wieder den gleichen Arten. Schließlich braucht der Naturalienhandel stets mehrere Exemplare einer Tierart, wenn sie sich gut verkaufen lassen; und eben nicht nur ein oder zwei typische Individuen, wie sie die Naturkundler vor ihm und auch seiner Zeit meist sammeln.
Wallace hat längst nicht nur den dekorativen Zweck oder mehr Profit im Sinn; ihm verschaffen solche Serien zugleich einen wichtigen Einblick in die natürliche Variation. Es sind vor allem die auffälligen Arten an Schmetterlingen, die ihn entlang des Amazonas und seiner Zuflüsse ein grundlegendes Muster erkennen lassen. Von dem Edelfalter Callithea weiter unten am Amazonas hat er je nachdem, an welchem Flussufer er war, unterschiedlich gefärbte Formen gefangen. Bald danach fallen ihm solche sich gegenseitig vertretenden Arten diesseits und jenseits einer Flussbarriere auch bei anderen Arten auf. Am Rio Negro ist Wallace schon nicht mehr nur Sammler, er ist ein reisender Naturforscher. Während er sammelt, beobachtet er zugleich aufmerksam. Die überbordende Vielzahl der Arten, überlegt Wallace, kommt nicht allein dadurch zustande, dass jede dieser Tierarten jeweils eine enge Beziehung zwischen ihrer Umwelt und einer besonderen Anpassung aufweist, wie die meisten Naturforscher seiner Zeit denken. Viel wesentlicher, so wird
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