Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Stevens gebracht. Doch sie wurden wegen ungeklärter Zollangelegenheit aufgehalten, und erst jetzt kann Wallace sie dort auslösen und nach Pará mitnehmen, wo er am 2. Juli ankommt. Er besucht Herberts Grab, der hier am 8. Juni 1851 starb, bevor er ein Schiff nach Europa erreichte. Wallace hat mehr Glück; er findet, noch immer vom Fieber geschwächt, sogleich einen Segler nach England, der ihn an Bord nimmt, zusammen mit seiner gesamten Sammlung, Hunderte neuer Arten vom Amazonas: darunter die besten Exemplare an Schmetterlingen und Käfern, die man jemals sah; Vogelbälge der seltensten Arten; das komplette Skelett samt Fell eines Ameisenbären sowie das einer Amazonas-Seekuh und Häute weiterer Säugetiere; auch in Alkohol eingelegte Reptilien und ganze Blattwedel bisher unbeschriebener Palmen sowie Gesteinsproben von den bislang unerschlossenen Zuflüssen des großen Stromes.
Am 12. Juli 1852, einem Montag, schifft sich Alfred Russel Wallace in Pará auf der » Helen« ein, einem Zweimaster von 235 Tonnen. Mit dabei zwanzig lebende Tiere, Papageien, Sittiche und andere Vögel sowie drei nach Humboldt benannte Wollaffen der Gattung Lagothrix mit grauem Fell und langem Klammerschwanz. Als Wallace den weißen Häusern und den sich im Wind wiegenden Palmen am Ufer zum Abschied winkt und der Segler die Mündung des Amazonas hinter sich lässt, nimmt ein Unglück seinen Lauf, das sein Leben verändern wird – und vielleicht ein wenig auch eine gesamte Wissenschaft, die Biologie.
Die Katastrophe –
Londoner Zwischenspiel
(August 1852 – März 1854)
Kaum ein paar Tage ist die »Helen« auf See, als das Fieber Wallace nochmals heftig packt und er befürchtet, auch er könnte sich mit Gelbfieber angesteckt haben, das noch immer in Pará grassierte. Zwar erholt er sich, fühlt sich aber weiterhin schwach und verbringt viel Zeit in seiner Kabine mit Lesen. Nur allmählich verlässt ihn das Fieber, doch nachts schläft er wieder besser; und er träumt von seiner Zukunft als Naturforscher, gelegentlich auch von einer verlockenden Frau, die ihm – zurückgekehrt nach Hause – begegnet und die er heiratet. Sie haben gutes Wetter, wenn auch nur schwachen Wind. Als sie weitere drei Wochen auf See sind, seit Langem ohne dass mehr Land in Sicht war, mitten im Atlantik auf 30° 30’ nördlicher Breite und etwa 52° westlicher Länge, steht eines Morgens nach dem Frühstück John Turner, Kapitän und anteiliger Eigner der »Helen«, in Wallace’ Kabine. »Ich fürchte, auf dem Schiff brennt es. Kommen Sie und sagen Sie mir, was Sie davon halten.« Keine gute Nachricht, denkt Wallace, als er dem Kapitän zum Vorderdeck folgt. Dort steigt dichter Rauch aus dem Inneren auf; »eher wie Dampf, wenn man etwas erhitzt, als der Rauch eines Feuers«, so Wallace. Wie auch immer: Es kommt ohne Zweifel aus dem Bauch des Schiffes. Kein gutes Zeichen.
Die »Helen« hat Kautschuk und Kakao geladen, außerdem Piassava – Pflanzenfasern einer brasilianischen Palme (der Leopoldinia piassaba, die übrigens zuerst von Wallace wissenschaftlich benannt und beschrieben wird, wie wir noch sehen werden). Vor Ort wird Piassava zu Matten und Tauen verarbeitet, in England als Verpackungsmaterial genutzt, bis man entdeckt, dass sich daraus bestens derbe Besen machen lassen. Vor allem aber führt ihr Schiff Fässer voller Copaivabalsam mit sich. Die klare, gelbliche und sirupähnliche Flüssigkeit, die wir vom sprichwörtlich aromatischen Balsamgeruch kennen, wird in Brasilien durch das Anritzen der Rinde verschiedener Baumarten, hauptsächlich von Copaifera reticulata, gewonnen. Die Indianer am Amazonas kennen die antiseptische Wirkung dieses Baumharzes und nutzen es als Heilmittel bei allerlei Verletzungen und Erkrankungen – von der Wundheilung bis zu Geschlechtskrankheiten; auch in Europa ist es daher seit Langem begehrt. Copaivabalsam besteht aus Harzen und ätherischem Öl. Jedes Kind weiß, dass sogar aus Baumharz gewonnener Bernstein brennbar ist. Der Kapitän der »Helen« indes ist unkundig, was den Transport des leicht entzündlichen Balsamöls angeht, und begeht eine Kette folgenschwerer Fehler.
Der erste ist, dass er nicht sämtliche der kleinen Balsamfässer auf feuchtem Sand betten lässt, wie es als Vorkehrung gegen spontanes Entzünden dieser Ladung zu geschehen hat. Als in Pará mehr Fässer als anfangs vorgesehen geladen werden, lagert man sie auf trockenem Reisstreu. Als sich der Balsam in einigen der Fässer jetzt in der
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