Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Sarawak sei gewesen, so Wallace in seinem Bericht aus dem Archipel, Orangs in ihrem natürlichen Lebensraum zu studieren. Hier, wo die ungeheuer weit sich ins Inland erstreckenden Regenwälder Borneos begannen, lebten noch zahllose dieser einzigen asiatischen Menschenaffen, obgleich ihnen die Einheimischen arg zusetzten. Er sei gekommen, so Wallace weiter, »seine Gewohnheiten zu studieren und gute Exemplare der verschiedenen Varietäten und Arten beiderlei Geschlechtes, von den erwachsenen und jungen Tieren, zu bekommen«.
Zu seinen Zeiten heißt das: Orang-Utans für die Wissenschaft zu schießen und ihre sterblichen Überreste in eine Museumssammlung zu geben, wo andere Naturforscher sie untersuchen können. Der Orang-Utan oder Pongo pygmaeus (nach moderner Taxonomie) ist der Einzige unter den vier großen Menschenaffen, der außerhalb Afrikas vorkommt; auch hier nur begrenzt in den Regenwaldgebieten von Borneo und im nördlichen Sumatra, wo er »sich nur in den niedrig gelegenen und sumpfigen Wäldern aufhält«. Bis zu Wallace’ Ankunft weiß man über ihn in Europa wenig. Meist kennt man Orangs dort lediglich von ihren sterblichen Überresten; alles in allem dürften bis dahin nicht mehr als ein Dutzend Skelette in die Sammlungen und Museen gelangt sein. Einige wenige lebende Tiere hält man kurze Zeit in Tiergärten, wie in Regent’s Park in London, wo sie großes Aufsehen erregen. Aus dem Freiland aber ist vom Orang so gut wie nichts bekannt.
»Ungefähr nach vierzehn Tagen hörte ich, dass einer sich auf einem Baume in dem Sumpf gerade unterhalb des Hauses erging; ich nahm meine Flinte und hatte das Glück, ihn noch an derselben Stelle zu finden. Sowie ich nahte, versuchte er, sich im Laubwerk zu verstecken; aber ich schoss und beim zweiten Schuss fiel er fast tot herunter, da beide Kugeln in den Körper gedrungen waren. Es war ein Männchen, etwa halb erwachsen und kaum drei Fuß hoch.« Kurze Zeit später geht Wallace erneut mit zwei einheimischen Dayaks auf Jagd und entdeckt ein weiteres Orang-Männchen, »ungefähr von derselben Größe. Es fiel auf den ersten Schuss, aber schien nicht sehr verletzt zu sein, und kletterte sofort auf den nächsten Baum; ich feuerte dann wieder, und es fiel nochmals mit gebrochenem Arm und einer Wunde im Körper.« Wallace schildert, wie seine beiden Dayaks versuchen, den verletzten Menschenaffen festzuhalten. »Aber obgleich ein Arm gebrochen und es nur ein halb erwachsenes Tier war, so war es doch zu stark für diese jungen Wilden; es zog sie trotz aller ihrer Kraftanstrengungen nach seinem Munde hin, sodass sie es wieder loslassen mussten, um nicht ernstlich gebissen zu werden. Es kletterte nun wieder auf den Baum hinauf, und um weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden, schoss ich es durchs Herz.«
Kaum hat Wallace die erste Gelegenheit zur Beobachtung, überwältigt ihn der Sammeleifer; die Jagdlust macht auch vor Menschenaffen nicht halt. Alle weiteren Begegnungen mit Orang-Utans enden für diese mit dem Tod. Oft braucht es mehrere Schüsse, die Tiere sind zäh und kämpfen lange, ziehen sich in die Baumwipfel zurück oder werden durch den Wald verfolgt. Doch am Ende jeder Jagd steht stets das Ausschlachten der Tiere. Die Knochen werden ausgekocht und Skelett samt Schädel getrocknet. Jedes dieser Todesopfer vermerkt Wallace sorgfältig in seinem Notizbuch; es werden mehr als ein Dutzend werden. Er weiß nur zu gut, dass es in Europa einen Markt für ihre Felle, Skelette und Schädel gibt und Stevens dort einen ordentlichen Preis für sie erzielen kann. Tatsächlich wird Wallace für seine Orangs reich entlohnt; es hat sich für ihn gelohnt. Ihr Verkauf wird ihm helfen, seine weitere Expedition im Osten des Archipels zu finanzieren.
Wallace ist einer der wenigen Naturforscher seiner Zeit, vielleicht der erste überhaupt, der einen der großen Menschenaffen längere Zeit im Freiland unter natürlichen Bedingungen beobachtet. Er sieht mehr als andere von dem »Waldmenschen«. Aber auch er schießt auf sie mit der Gefühllosigkeit des professionellen Jägers und Sammlers, der er ist. Für die Dayak auf Borneo ist er damit ein Held. Er erweist den Einheimischen Sarawaks einen Dienst, denn sie sehen im Orang-Utan vor allem einen starken Konkurrenten, mit dem sie um die gleiche Nahrung – Früchte wie Durian, Rambutan und Mangosteen – kämpfen müssen; obgleich die Orangs in der Regel friedlich sind. Dass sie die Dayaks attackieren, wird bei Wallace recht
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