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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Veranschaulichung voneinander abstammender Arten einführt. »Er verwendet meinen Baum-Vergleich«, notiert Darwin an den Rand des Artikels von Wallace, als er ihn endlich liest, und strichelt sich einen verzweigten Linien-Baum daneben. Jetzt rächt sich, dass Darwin zwei Jahrzehnte zwar beinahe alles gesehen, gewusst und notiert, aber auch alles für sich behalten hat. Natürlich hatte Darwin die Idee mit dem Baum zur Illustration, in Wort wie im Bild, schon vor Wallace, wie beinahe sämtliche Wissenschaftshistoriker nicht müde werden zu betonen. Geschenkt, denn Wallace kommt ihm – ohne es zu ahnen – zuvor, was die Veröffentlichung dieser Idee angeht. Und geht es nicht genau darum, in der Wissenschaft und anderswo: – darum, wer etwas als Erster publiziert?
    Darwins Strichzeichnung als einzige Abbildung in seinem Werk ist zugegeben reichlich abstrakt und beeindruckt die Fachwelt vielleicht heute, wohl kaum aber seine Leser damals. Wallace dagegen entwirft verbal sehr anschaulich das Bild einer knorrigen Eiche als einen aus der Wurzel heraus entspringenden Stammbaum – und zwar lange, bevor etwa in Deutschland Ernst Haeckel eine solche Eiche mit dickem Stamm und vielen verzweigten Ästen zum ewigen Symbol macht. Wallace nutzt die Baum-Analogie, um das in der Klassifikation der Organismen verwendete natürliche System zu erläutern und auf die dem zugrunde liegende genealogische Verwandtschaft zurückzuführen, die er in seinem Sarawak-Aufsatz postuliert. Er schreibt von Verwandtschaftslinien als einer »Verästelung, die so verwickelt ist wie die Zweige einer knorrigen Eiche oder das Gefäßsystem des menschlichen Körpers«, und fährt fort: »Wenn wir dann noch in Betracht ziehen, dass wir nur Fragmente dieses ungeheueren Systemes besitzen, indem der Stamm und die Hauptäste durch ausgestorbene Arten repräsentiert werden, von welchen wir keine Kenntnisse haben, während eine ungeheuere Masse von Gliederungen und Zweigen und winzigen Ästen und zerstreut liegenden Blättern vorhanden ist, welche wir in Ordnung zu bringen und deren richtige ursprüngliche Lage zueinander wir zu bestimmen haben – so wird uns die große Schwierigkeit einer richtigen natürlichen Klassifikation einleuchten.« Das tut es, und die Metapher eines Baumes ist das beste und anschaulichste Bild dazu.
    Daher liegt es wohl nahe, dass sowohl Wallace als auch Darwin auf die Idee mit dem Stammbaum kommen. Am Ende seines Aufsatzes kehrt Wallace nochmals zu der Idee eines sich verzweigenden Baumes zurück, da der nicht nur am besten die natürliche Ordnung veranschaulichen könne, sondern eben auch die genealogische Abfolge von immer neuen auseinander hervorgehenden Arten. Spätere Generationen von Systematikern, Evolutionsbiologen und Wissenschaftshistorikern haben beinahe sämtlich zur Legendenbildung von Darwins Stammbaum beigetragen, Wallace aber meist völlig ignoriert und so seine originäre Idee unterschlagen. Die Legenden um Darwin verschleiern schon bei diesem die wahre Geschichte; zugleich verhüllen sie auch Wallace. Einmal mehr jedoch sehen wir hier, wie er nun als nur mehr vermeintlicher Mann in Darwins Schatten beherzt aus diesem heraustritt, sich gar vor Darwin zu stellen vermag. Denn Wallace’ Sarawak-Aufsatz beweist dessen tiefe Einblicke in den Vorgang der organismischen Evolution bereits im Jahre 1855. Dabei sind seine Beispiele und Veranschaulichungen wohl gewählt – zum einen die Galapagosinseln als Naturlaboratorium, zum anderen eine knorrige Eiche als Stammbaum-Repräsentation der genealogischen Abfolge von Arten. Und die verfehlen nicht ihre Wirkung, am wenigsten bei Darwin selbst, der von dem profitieren wird, was er in Wallace’ Sarawak-Aufsatz findet – zu einer entscheidenden Zeit und an einer entscheidenden Stelle, nämlich, als er an seinem eigenen Manuskript zum großen Arten-Buch schreibt.

»Nichts sonderlich Neues« –
Darwins Irrtum
    (Juli 1855 – Mai 1856)
    » Ich war nicht weiter als eine Viertelmeile vom Hause entfernt, als ich ein Rauschen auf einem der Bäume in der Nähe hörte und emporschauend ein großes rothaariges Tier erblickte, welches sich langsam weiterbewegte, indem es sich mit den Armen an die Zweige hängte. Es ging von Baum zu Baum, bis es sich im Dschungel verlor, welcher aber so sumpfig war, dass ich ihm nicht folgen konnte.« Wallace erinnert sich gut seiner ersten Begegnung mit dem »Waldmenschen« von Borneo – dem Orang-Utan. Einer der Hauptgründe für seine Reise nach

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