Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
reißerisch in Szene gesetzt. In seiner Reisebeschreibung durch den »Malayischen Archipel« tauchen sie gleich im Untertitel auf: »…Die Heimat des Orang-Utans …« und so weiter. Das Frontispiz des ersten Bandes zeigt eine wilde Jagd, bei der ein Orang in den Arm eines Dayaks beißt. Allerdings unterschreibt Wallace das Bild mit »Orang-Utan von Dayaks angegriffen«, nicht umgekehrt. Der Holzschnitzer, der im Auftrag Wallace’ später das Bild anfertigt, stützt es auf eine im Buch geschilderte Begebenheit, bei der eine Gruppe Dayaks mit Speeren und Beilen bewaffnet einem großen Männchen in der Nähe ihrer Häuser den Weg abschneiden will: »Der vorderste Mann versuchte, seinen Speer durch den Körper des Tieres zu rennen, aber die Mias ergriff ihn mit seinen Händen, packte in demselben Moment den Arm mit dem Maule und wühlte sich mit den Zähnen in das Fleisch über dem Ellbogen ein, welches er entsetzlich zerriss und zerfetzte. Wären die anderen nicht dicht dahinter gewesen, so hätte er den Mann noch ernstlicher verletzt, wenn nicht getötet, da er gänzlich machtlos war; aber sie hieben das Tier bald mit den Speeren und Beilen nieder. Der Mann blieb lange krank.«
Solche blutrünstigen Szenen setzen sich über Seiten seines Berichtes fort, in dem Wallace die Jagd und den Fang beinahe jedes einzelnen Menschenaffen minutiös beschreibt. Einmal offeriert er vier chinesischen Arbeitern der Mine am Sadong einen Tageslohn für jeden, damit sie einen großen Baum fällen, auf dem sich ein verwundeter Orang in sein Baumnest zurückgezogen hat. Diese lehnen ab, und Wallace will nicht handeln, um sich nicht selbst die Preise zu verderben; schließlich braucht er billige Hilfskräfte noch für weitere Wochen. Drei Monate später aber klettern zwei Malaien für einen geringeren Lohn denselben Baum hinauf, um jetzt den vertrockneten Körper des verendeten Tieres herunterzuholen. So habe er zwar nicht den frischen Leichnam bekommen, kommentiert Wallace, aber einen sehr schönen Schädel.
Akribisch vermerkt er in seinen Aufzeichnungen, dass er zuerst fünf Häute, fünf Schädel und zwei Skelette von Borneo aus an Stevens schickt; dann weitere drei Häute und Skelette für das Britische Museum. Später, im März 1856, gehen von Singapur aus nochmals zwei Fässer ab, darin fünf Häute in Arrak eingelegt – einem vor Ort aus Palmzuckersaft gebrannten Schnaps. »Ich selbst habe die Körper von siebzehn frisch getöteten Orangs untersucht und habe alle sorgfältig vermessen«, schreibt Wallace. Von Sarawak aus bringt er die Überreste von immerhin fünfzehn dieser Orang-Utans auf die Reise. Und wir wollen hier nicht verschweigen, dass unter diesem in Kisten verpackten Material auch – für uns heute bestürzend – ein menschlicher Schädel ist. Wie und unter welchen Umständen Wallace diesen erhalten hat, wissen wir nicht; nur, dass die Kopfjagd unter den einheimischen Dayaks damals in Borneo nicht unüblich ist und dass der Schädel an einen gewissen Dr. Joseph Davis gehen soll. Mit der heiklen Fracht gibt es dann ein Problem; nicht wegen des Menschenschädels allerdings, sondern weil der Zoll seiner Majestät der englischen Königin eine Abgabe für den Arrak fordert, in den Wallace die Menschenaffen eingelegt hat. »Ich hätte wohl besser Salzlake statt Weingeist verwen det«, kommentiert Wallace trocken, wo uns heute viel Bedenklicheres einfällt.
Die von Wallace auf Borneo gesammelten Orangs sind noch immer verstreut in verschiedenen Sammlungen in England und Europa zu finden. Dreizehn von ihnen tragen noch die Original-Etiketten von Wallace’ Hand; die übrigen sind verschollen. Zwei der präparierten Tiere aus seiner Kollektion stehen in einem schmucklos-ernüchternden Depot des Naturhistorischen Museums in London; ihr Etikett tragen sie mit Bindfaden um den Hals, das haarlose Gesicht bleich, den starren Blick aus leblosen Glasaugen in unendliche Ferne gerichtet. Daneben noch ein Skelett, die Knochen mit Draht in aufrechter Position montiert. Das schaurig-traurige Ende einer vom Forscherdrang beseelten Jagd, von Wallace gesammelt, ohne große Sentimentalität.
Immerhin, mitfühlend ist Wallace auf seine Weise doch. Einmal adoptiert er ein junges Orang-Baby und versucht, es mit der Flasche großzuziehen. Allerdings hat er selbst es zur Waise gemacht, indem er dessen Mutter – eine »wilde Frau aus dem Wald«, wie er schreibt, und die Nr. 7 seiner Inventarliste wird – im Mai 1855 mit einem gezielten
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