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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Schuss aus den Baumkronen holt. Da ist ihr Kind, Nr. 8, gerade vier Wochen alt und fällt mit dem Gesicht nach unten in den Sumpf unterhalb des Baumes, aus dem seine tödlich getroffene Mutter abstürzt. Als Wallace es aus dem Schlamm fischt, klammert es sich an ihn und seinen langen Bart, der es wohl an das Fell der Mutter erinnert. Wallace pflegt den kleinen Orang mit Hingabe, füttert ihn mit Reiswasser, dem er Zucker und Kokusnussmilch zusetzt, und bereitet ihm in einer kleinen Kiste eine Wiege. »Wenn ich meinen Finger in seinen Mund steckte, sog es mit großer Kraft, zog seine Backen mit aller Macht ein und strengte sich vergeblich an, etwas Milch herauszuziehen, und erst nachdem es das eine lange Zeit getrieben hatte, stand es missmutig davon ab und fing ganz wie ein Kind in ähnlichen Umständen zu schreien an.«
    Er habe ein Waisenkind aufgenommen, berichtet Wallace in Briefen an seine Schwester und erweise sich als einfallsreiches Kindermädchen. »Ich fürchte allerdings, man wird es für ein hässliches Baby halten, denn es hat eine dunkelbraune Haut und rote Haare und einen sehr großen Mund. Indes sehr schöne kleine Hände und Füße.« Als das Orang-Baby die ersten Zähne bekommt, füttert Wallace es mit dem Löffel; er notiert für die kurze Zeit, die es lebt, sorgfältig seine Entwicklung, anteilnehmend, aber dennoch mit dem kühlen Blick des Forschers. Er verschafft sich sogar einen Langschwanzmakaken, der den kleinen Orang warm hält und ihm Gesellschaft sein soll, solange Wallace tagsüber unterwegs ist. Der Affe und das namenlose Orang-Baby werden gute Freunde. »Während ich den Orang fütterte, pflegte das Äffchen dabeizusitzen, das, was danebenfiel, aufzunaschen und gelegentlich mit seinen Händen den Löffel aufzufangen; sobald ich fertig war, leckte es das, was noch an den Lippen des Orangs saß, ab«, schildert Wallace in seinem Reisebericht. »Dann legte es sich auf den Leib des armen Geschöpfes wie auf ein bequemes Kissen nieder. Der kleine hilflose Orang ertrug all dies mit der beispiellosesten Geduld, nur zu froh, überhaupt etwas Warmes in seiner Nähe zu haben, das er zärtlich in die Arme schließen konnte.«
    Doch das Baby erkrankt (an Wassersucht, wie Wallace meint) und stirbt nach drei Monaten. »Der Verlust meines kleinen Lieblings, den ich einst großzuziehen gehofft hatte und mit nach England heimnehmen wollte, tat mir sehr leid. Monatelang hatte er mir täglich durch seine drolligen Manieren und seine unnachahmlich possierlichen Grimassen sehr viel Vergnügen bereitet.« Wallace präpariert Haut und Skelett des kleines Tieres und findet dabei, »dass es, als es vom Baum gefallen, einen Arm und ein Bein gebrochen haben musste, was sich aber so schnell wiedervereinigt hatte«, dass er es nicht bemerkte. Aus seinem Notizbuch wissen wir, dass er das Fell ebenfalls in Arrak zusammen mit den Knochen einlegt; es wird später für sechs Pfund an die Sammlung des Britischen Museums gehen.
    Die so offenkundig menschlichen Züge der Orangs hindern Wallace zwar nicht, diese für seine Sammlung zu erlegen. Zugleich ist er der Erste, der mit seinen akkuraten Beobachtungen viel vom Verhalten dieser Pongiden beschreibt; wie sie ihre Nester aus Zweigen in den Bäumen bereiten, wie sie weit und meist allein umherstreifen, ohne Gruppentiere zu sein wie die anderen Menschenaffen. Er erwähnt auch die auffälligen Wangenwülste der territorial dominanten Männchen, die sich von denen jüngerer Geschlechtsgenossen unterscheiden; er glaubt daher, dass zwei Formen des Orangs auf Borneo leben, für die die Dayaks sogar eigene Namen haben. Wallace denkt noch später in seinen Lebenserinnerungen, er habe damit zwei Arten beim Orang nachgewiesen. Heute wissen wir, dass die Wangenwülste dagegen lediglich unterschiedliches Alter und Status und nicht getrennte Arten ausweisen.
    Der Orang-Utan hinterlässt großen Eindruck bei Wallace und beeinflusst ihn, was seine Ansichten über die Abstammung betrifft. Für ihn besteht zu diesem Zeitpunkt ohnehin kein Zweifel mehr an einer Entwicklung der Arten im Allgemeinen. Und betrifft dies nicht speziell auch den Menschen? »Es ist sehr bemerkenswert, dass ein so großes, so eigentümliches und so hoch organisiertes Tier wie der Orang-Utan auf so begrenzte Distrikte beschränkt ist. Wenn wir weiter bedenken, dass fast alle anderen Tiere in früheren Zeitaltern durch verwandte, wenn auch distinkte Formen repräsentiert waren«, resümiert Wallace, »so haben wir

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