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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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an ihren Tisch. Er war fast zwanzig Minuten zu spät und sah so schlecht aus, wie Jessica es zuvor noch nicht erlebt hatte: Er hatte sich seit mindestens zwei Tagen nicht mehr rasiert, trug ein fleckiges Hemd unter dem Jackett und mußte an die fünf Kilo Gewicht verloren haben. Der Kellner betrachtete ihn mit sichtlichem Mißfallen. Es war keines der besonders schicken Münchner Restaurants, das Jessica ausgesucht hatte, aber dennoch sah Leon außerordentlich unpassend aus.
    Er fuhr sich mit der Hand durch die ungekämmten Haare, in dem vergeblichen Versuch, sie zu glätten, aber sie waren danach struppiger als zuvor. »Du wartest sicher schon lange«, sagte er anstelle einer Begrüßung, »tut mir leid. Ich hatte irgendwie …« Es schien ihm zu anstrengend, eine Ausrede zu suchen, und so sagte er nur: »Ich hatte einfach die Zeit vergessen.«
    Er wirkte zu elend, als daß sie hätte ärgerlich sein können. »Ich habe mir die Leute angeschaut«, sagte sie, »war also kein Problem. Möchtest du vielleicht ein Glas Wein?«
    »Ja«, sagte er und setzte sich. Sie orderte sein Getränk.
    »Hast du etwas von Evelin gehört?« fragte sie. »Du wolltest doch ihren Anwalt anrufen.«
    Für eine Sekunde stützte er den Kopf in die Hände. »Vergessen«, sagte er, »einfach vergessen.«
    »Sie ist jetzt seit zweieinhalb Wochen in Haft«, sagte Jessica, »wir können sie nicht hängenlassen.«

    »Natürlich nicht. Der Anwalt, den ich ihr in England besorgt habe, ist wirklich gut. Du solltest dir nicht zu viele Gedanken machen.«
    »Aber er hat es offenbar bislang nicht geschafft, daß sie aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Ich verstehe das nicht.«
    »Ich vermute, daß sie mit Fluchtgefahr argumentieren«, sagte Leon mit jener seltsam teilnahmslosen Stimme, die er sich seit jenen schrecklichen Tagen in England angewöhnt hatte. »Sie ist Ausländerin. Sie könnte versuchen, sich nach Deutschland abzusetzen. «
    »Aber wir hatten doch sowieso überlegt, ob man sie nicht nach Deutschland überstellen könnte«, sagte Jessica. »Sie ist Deutsche. Sämtliche Opfer sind Deutsche. Ist das nicht eher ein Fall für die deutsche Justiz?«
    »Das Verbrechen ist in England geschehen. Unter den ersten Tatverdächtigen war ein Engländer - der dann nur mit einem fragwürdigen Alibi davongekommen ist. Ich glaube, Scotland Yard will an der Sache dranbleiben.«
    »Du wolltest dich doch trotzdem darum kümmern, ob man nicht vielleicht eine Überstellung nach Deutschland …«
    »Jessica!« Er sah sie fast flehend an. Seine Augen waren rot vor Müdigkeit. »Jessica, ich kann nicht. Bitte. Ich weiß nicht, woher du die Energie nimmst, dich für Evelin zu engagieren. Ich bewundere dich dafür, und sicher bist du der bessere Mensch von uns beiden, aber ich selbst, ich schaffe es nicht. Ich habe nicht die Kraft. Meine letzten Reserven brauche ich, um über jeden einzelnen Tag zu kommen, ohne zwischendurch mich und mein Leben aufzugeben. Es tut mir leid.«
    Sie wußte, daß er dabei war, seinen ganzen Haushalt aufzulösen, um das Haus verkaufen zu können. Wie mußte es sein, sich Tag für Tag durch all die vielen großen und kleinen Dinge zu wühlen, die sich im Lauf eines Familienlebens angesammelt hatten: Zeugnisse und Sporturkunden der Kinder, Bilder, die sie gemalt, und Kastanienmännchen, die sie gebastelt hatten, erste
Zähne und Bilderbücher und Anziehpuppen. Die Keramikbecher, aus denen sie morgens ihren Kakao getrunken hatten. Die Schultaschen. Die Kleider.
    Und Patricias Sachen, ihre Hosen und Pullover und Kostüme, Jogginghosen und Laufschuhe. Ihre Kosmetikartikel. Ihre Fotoalben, die das glückliche Familienleben geradezu beschwörend dokumentierten. Liebesbriefe, die sie vor langen Jahren an Leon geschrieben hatte. Briefe, die er ihr geschrieben, die sie in irgendeiner Schublade aufbewahrt hatte. Das Negligé, das sie gern trug. Der Kalender, in dem sie wichtige Termine, Verabredungen, Arztbesuche und Geburtstage notierte. Ihre CDs, ihre Bücher. Ihre Schuhe und Handtaschen. All die Bilder und Skulpturen und Vasen, mit denen sie das Haus so verschwenderisch - und viel zu kostspielig - ausgestattet hatte. Nichts, was durch Leons Hände ging, würde ohne Erinnerung sein. Nichts würde ihn unberührt lassen. Es war seine Vergangenheit. Sein Leben. Seine Familie.
    »Eigentlich werfe ich alles weg«, sagte er, so als wisse er, welche Gedanken gerade durch Jessicas Kopf gegangen waren. »Was brauche ich schon noch? Zuerst wollte ich

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