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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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interessant sein zu sehen, wann es bei Jessica soweit ist. Bislang habe ich ziemlich gut gelegen mit meinen Prognosen. Sie hat sich in ihn verliebt, sie hat ihn geheiratet. Sie übernahm bereitwillig sein Leben, was heißt: Sie übernahm bereitwillig uns alle und Stanbury. Sie ist neugierig und offen, sie findet die Clique interessant, sie will Alexander besser verstehen. Bislang hat sie sich kaum gegen ein Leben gesperrt, das keineswegs von ihr und ihrem Mann bestimmt wird, sondern von den Freunden ihres Mannes. Es ist ihr noch nicht wirklich klargeworden, was hier passiert, sie begreift noch nicht, daß das Stück Gummi, das sie geheiratet hat, nur in der Symbiose mit uns anderen
leben kann. Sowie sie die Wahrheit erkennt, wird sie versuchen, Alexander von uns zu lösen. Sie wird scheitern. Sie wird gehen.
    In diesen Osterferien beginnt ihr etwas zu dämmern. Das ist spürbar. Sie ist nicht glücklich. Etwas verunsichert sie stark, etwas setzt ihr sehr zu. Sie beginnt sich mehr und mehr von der Gruppe abzuseilen. Erwartungsgemäß eckt sie deswegen bei Patricia an, wird angegriffen, muß sich rechtfertigen. Verliert deutlich die Lust, Erklärungen für ihr Verhalten abzugeben. Der Ton zwischen ihr und Alexander ist schärfer geworden. Alexander schwebt in tausend Nöten, weil es seine Gattin zunehmend ablehnt, sich ihren Tagesablauf von Patricia diktieren zu lassen. Jessica hingegen sieht sich plötzlich mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert, daß ihr Mann in Auseinandersetzungen keineswegs ihre Partei, sondern die der anderen ergreift. Sie ist verletzt. Sie will sich ihre Verletztheit noch nicht eingestehen, versucht, sich die Dinge zurechtzureden.
    Aber sie ist zu intelligent, um dauerhaft die Augen vor der Wahrheit verschließen zu können. Sie ist zu geradlinig, um sich selbst belügen zu können. Mehr und mehr wird sie begreifen, welches Spiel gespielt wird und welch schmerzhafte Konsequenz sich daraus für sie ergibt.
    Manchmal kommt es mir vor, als bewegten sie sich alle unter einem Mikroskop. Ich beobachte sie, berechne, was sie als nächstes tun werden, und erlebe wunderbare Momente des Triumphes, wenn sich meine Annahmen bestätigten. Alles ist so vorhersehbar. Der Mensch folgt seinem eigenen, ewig gleichen Muster. Immer wieder dasselbe. Ich wußte zum Beispiel auch ganz genau, daß Leon ein Auge auf Jessica werfen würde. Leon wirft ein Auge auf jede Frau, die nicht ganz häßlich ist oder so depressiv wie Evelin. Leon steht daheim unter dem Pantoffel, und seine einzige Möglichkeit, sein Selbstwertgefühl immer wieder halbwegs auszubalancieren, liegt darin, sich bei anderen Frauen Bestätigung zu holen. Wenn er irgendein hübsches Mädchen
flachgelegt hat, kann er es wieder eine Zeitlang ertragen, von Patricia herumkommandiert zu werden. Er würde unendlich gern mit Jessica ins Bett gehen, das sehe ich genau. Er verschlingt sie mit Blicken. Sie würde es vermutlich merken, wäre sie nicht derart mit ihren Problemen beschäftigt.
    Jessica. Sie kann mich nicht leiden. Sie reagiert abweisend, patzig, unhöflich auf mich. Ich trete ihr zu nahe; ohne daß es ihr ganz bewußt wird, spürt sie, daß ich sie seziere. Sie meidet meine Nähe. Wahrscheinlich hat sie sich bereits eingestanden, daß sie mich haßt, und dies bringt sie in größte innere Schwierigkeiten. Denn wie kann sie einen von Alexanders besten Freunden hassen? Sie ahnt, daß sie deswegen massive Probleme mit ihrem Mann bekommen wird. Sie windet sich. Sie haßt auch Patricia. Sie darf Patricia aber nicht hassen. Sie ist ein schöner, glänzender Käfer, der sich in einem Spinnennetz verfangen hat. Die Fäden des Netzes ziehen sich gerade immer enger zusammen. Ihr Raum wird kleiner, die Luft zum Atmen knapper. Sie weiß, daß sie sich wird befreien müssen. Sie weiß sogar, daß sie sich befreien kann. Um den Preis, das Netz zu zerstören.
    Nur daß Alexander Teil des Netzes ist. Er ist einer der Fäden. Wenn sie sich befreien will, muß sie ihn genauso abstreifen wie uns andere auch. Sie kann nicht alle Fäden zerreißen und den Faden Alexander heil lassen; das läßt die Konstruktion des Netzes nicht zu. Wenn sie sich befreit, wird sie ihn verlieren - eine Konsequenz, aus der sie noch immer einen Ausweg zu finden hofft. Es macht Spaß, ihr bei der Suche zuzusehen.
    Es macht Spaß, weil man weiß, daß sie am Ende scheitert.

Mittwoch, 14. Mai - Freitag, 23. Mai
    1
    Jessica saß schon im Restaurant, als Leon kam. Ein Kellner geleitete ihn

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