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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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›Du mußt dies tun, du mußt jenes tun. Du kannst dies, du kannst das. Du mußt an dich glauben, du mußt dich zusammenreißen, du mußt vorwärtsgehen, du mußt stark sein, du mußt selbstbewußt sein!‹ Sie hämmerte mir jeden Tag ihr persönliches Credo in den Kopf, und ich versuchte es mit heraushängender Zunge umzusetzen
und hatte dabei das Gefühl, immer weiter zurückzufallen. Ihren Vorstellungen und Ansprüchen nie genügen zu können. Und wenn es nur darum ging, daß ich am Sonntag morgen verschlafen im Bett döste, während sie schon in aller Frühe auf den Füßen war und irgendein anstrengendes Sportprogramm durchzog. Wenn ich abnehmen wollte, quälte ich mich ein paar Wochen mit halbherzigen Diätversuchen herum und brachte, wenn ich Glück hatte, am Ende ein halbes Kilo weniger als vorher auf die Waage. Wenn sie abnehmen wollte, erstellte sie sich einen knallharten Ernährungsplan, von dem sie dann um keinen Millimeter abwich, bis sie in exakt der geplanten Zeit genau die drei Kilo weg hatte, die sie hatte abnehmen wollen. Sie war so unendlich diszipliniert. Stark. Sicher mit sich genauso hart wie mit anderen, aber mich …«, er hob hilflos die Hände, »mich hat sie damit einfach fertiggemacht. Sie war immer besser. Sie war immer vorneweg. Immer.«
    Der Kellner brachte den Salat und das Pizzabrot. Leon bestellte sich ein weiteres Glas Wein. Jessica stocherte in Tomaten und Pilzen herum. Sie verspürte nicht den geringsten Appetit.
    »Ich hatte damals gehofft, sie würde das Kind abtreiben«, sagte Leon. »Ich habe sie nicht unter Druck gesetzt deswegen, aber ich habe die Möglichkeit ein paarmal angesprochen. Es war Patricia keineswegs recht, so früh bereits Mutter zu werden, aber sie hatte Kinder in ihrem Leben vorgesehen, und sie hatte Angst, daß ein Eingriff irgend etwas kaputtmachen könnte. Ich besprach mich mit Alexander und Tim. Beide meinten, ich müßte sie heiraten. Aus Anstand. Also heirateten wir. Ich habe mich betrunken am Morgen der Hochzeit. Als Alexander und Tim mich in meiner Wohnung abholten, war ich ziemlich blau. Die beiden haben mich unter die Dusche gestellt und kalt abgebraust, mir Aspirin eingeflößt, die Krawatte gebunden und mich mit Hustenbonbons gegen meine Fahne versorgt. So gelang es mir, das Jawort zu geben, ohne dabei zu lallen. Patricia merkte natürlich trotzdem, daß ich ziemlich dicht war. Sie bewahrte Haltung den
ganzen Tag über, lächelte, mimte die perfekte, glückliche Braut, aber ich wußte, daß sie wütend war. Abends hatten wir einen schrecklichen Streit. Sie schlachtete mich mit eiskalten, verletzenden Worten regelrecht ab, und ich hatte einfach nur rasende Kopfschmerzen und immer noch zuviel Alkohol im Blut und war ihr nicht im entferntesten gewachsen. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, ich verließ die Wohnung und fuhr mit dem Taxi zu Tim. Der lebte damals noch allein. Alexander war da, die beiden tranken noch etwas, unterhielten sich. Alexander hatte Elena mit der kleinen Ricarda nach Hause geschickt. Ich stieß dazu. Ich glaube, ich … ich heulte. Ich war so verzweifelt. Ja«, er atmete tief durch, sah Jessica noch immer nicht an, »so verlief unsere Hochzeitsnacht. Patricia allein daheim und ich bei meinen besten Freunden, heulend zuerst und irgendwann sturzbesoffen, denn natürlich machten wir dort weiter, wo ich am Morgen aufgehört hatte. Wir ließen uns richtig vollaufen, alle drei, und dann … führten wir unendlich dumme Reden …«
    Endlich hob er den Blick. Er sah Jessica an. Sie erkannte nichts als Trostlosigkeit in seinen Augen, Leere, Hoffnungslosigkeit, daß irgend etwas sich je zum Besseren wenden würde. »Ich war ja wie in Panik. Frisch verheiratet, im Begriff, Vater zu werden - und dabei gleichzeitig in einer Lebensphase, in der ich nichts als Freiheit wollte. Absolute, endlose Freiheit. Ich hatte das Gefühl, in einer Falle gefangen zu sein und nie wieder herauszukommen. Da fingen die anderen mit Stanbury an.«
    »Mit Stanbury?« fragte Jessica.
    Er lächelte wieder sein bitteres Lächeln, das sie erst seit diesem Abend an ihm kannte. »Ich sagte ja, wir waren absolut blau und führten dumme Reden. Sie wollten mich trösten. Tim kam auf die Idee, eine Liste aufzustellen, was alles gut sei an meiner Situation. Mir fiel überhaupt nichts ein und den anderen auch nicht viel, aber dann erwähnte Alexander Stanbury, und Tim und er schossen sich richtig darauf ein. Damals kämpfte Kevin McGowan bereits mit dem Krebs, und es

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