Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
ihre Handtasche, die sie auf dem Schlafsofa abgestellt hatte, ging damit zur Tür, warf die Tasche ins Treppenhaus. Polternd hüpfte sie die Stufen hinab, ehe sie sich öffnete und ihren Inhalt klirrend und klappernd auf Stiegen und Absätzen verteilte.
»Ich will, daß du verschwindest«, sagte er tonlos.
Sie rappelte sich auf, kam schwankend auf die Füße. Sie sah aus wie eine Vogelscheuche. Zu Hause vor dem Spiegel würde sie der Schlag treffen, aber das war Phillip plötzlich egal. Er wollte nur noch, daß sie ging. Er wollte allein sein mit ihrem Werk der Zerstörung, wollte sehen, was er retten konnte. Ihm war übel von ihrer Anwesenheit. Er wollte sie nicht, er hatte sie nie gewollt. Und fast spürte er etwas wie Erleichterung, weil sie selbst ihm die Kraft gegeben hatte, endlich den Schlußstrich zu ziehen.
Ihre Angst wandelte sich in Haß, das konnte er sehen, aber auch das war ihm gleich. Wenn sie nur endlich durch seine Wohnungstür verschwände! Gern hätte er sie gepackt wie ihre Handtasche und einfach in hohem Bogen hinausgeschmissen. So mußte er warten. Sie schniefte.
»Du elendes Schwein«, sagte sie, »und dir habe ich alles geopfert! «
In einer anderen Situation hätte er gelacht und sie gefragt, was sie unter opfern verstand: den Umstand, daß sie sich über Jahre in sein Leben gedrängelt und ihn ununterbrochen mit ihrer Zukunftsplanung belästigt hatte? Daß sie nicht zugehört hatte, wenn er erklärte, daß es keine gemeinsame Zukunft gab? Daß sie sich ihn in den Kopf gesetzt hatte wie ein schönes Spielzeug, ein hübsches Kleid, ein tolles Auto, das man unbedingt haben mußte?
Aber er fragte nichts, er sagte nichts. Sie hatten viel zuviel geredet, viel zuviel Zeit verschwendet. Es ging nur noch um das Ende, um ein rasches Ende.
Sie sah ihn an, und dann ging sie an ihm vorbei, mit großen Schritten, zerrte ihren Mantel von der Stuhllehne, über den sie ihn gelegt hatte. Sie schlug laut krachend die Wohnungstür hinter sich zu. Er hörte ihre Schritte auf der Treppe. Sie würde ein paar Minuten brauchen, ihre verstreuten Utensilien zusammenzusuchen.
Sie war draußen!
Er sank vor dem Ofen auf den Boden und klaubte die Reste zusammen, die dem Feuer entgangen waren. Ein paar Bilder, ein paar Artikel, dazu ein paar Schnipsel, sinnlose Fragmente, die im Grunde keinen Wert mehr hatten. Er sah sich selbst vor seinem inneren Auge, wie er sich in vielen, endlosen Stunden durch Bibliotheken und Archive gegraben hatte, Fotokopien gemacht und Ausdrucke aus dem Internet angefertigt hatte. Ein Jahr Arbeit. Recherche. Sammeln wie ein Eichhörnchen, ordnen, sortieren, beschriften, anlegen. Zwölf Monate, in denen er unermüdlich am Bild seines Vaters gebaut hatte, so sorgfältig und ruhig wie ein Puzzlespieler. Zwölf Monate, die sie in vermutlich weniger als einer Stunde vernichtet hatte.
Zutiefst erschöpft stand er schließlich auf. Er hatte keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen war. Aus dem Treppenhaus klang kein Laut mehr.
Er ging hinüber in das winzige Kabuff, das sich Bad nannte, zwängte sich in die billige Plastik-Duschkabine, die der Eigentümer der Wohnung vor Jahren voller Stolz hatte einbauen lassen. Klo auf dem Gang, aber Dusche in der Wohnung. Besser als nichts, hatte Phillip damals gedacht.
Er duschte eiskalt, reckte sein Gesicht dem strömenden Wasser entgegen, merkte, wie sich unter dem schmerzenden Prickeln der Kälte wieder Leben in seinem Körper regte. Wie sein Gehirn aus der Dumpfheit erwachte, sein Verstand die Gegenwart wieder wahrzunehmen begann. Er ging in das Zimmer zurück. Das Feuer im Ofen war erloschen, draußen hatte sich schwarze Nacht über die Straße gesenkt. Feuchte, kühle Luft wogte durch das Fenster herein, vermischte sich mit dem Geruch nach kaltem Rauch. Büschel langer, schwarzer Haare lagen mitten auf dem Teppich.
Phillip starrte sie an. Nun, da der Schock wich, begann er zu begreifen, was er getan hatte. Er hatte Geraldine aus seiner Wohnung und aus seinem Leben geworfen, und er hatte es so nachdrücklich getan, daß ihr klargeworden sein mußte, daß es nun nie wieder ein Zurück geben konnte. Er hatte ihr zudem etwas angetan, was vielleicht mit zu dem Schlimmsten gehörte, was ein Mann einer Frau antun konnte: Er hatte sie gepackt und festgehalten und ihr die Haare abgeschnitten. Abgesehen davon, daß ihre Haare ihr ganzer Stolz gewesen waren, daß sie sie immer mit besonderer Hingabe gepflegt hatte und daß sie auch gerade in ihrem Beruf ihr
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