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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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dennoch in seinem wilden Wüten stetig an Kraft. Fast unmerklich zuerst. Aber es geschieht. Und irgendwann ist er verbraucht.«
    »Ich wollte gestern nachmittag schon zu dir kommen. Das Alleinsein war … egal. Ich dachte nur, nach allem, was war, wäre es dir peinlich, wenn ich hier aufkreuze. Ich bin dann in die Kneipe gegangen. Da waren wenigstens Menschen. Aber irgendwann ist man der letzte Gast. Dann ist das Alleinsein wieder da. Wie der Schmerz. Es taucht auf und sagt: Oh, hallo, dachtest du etwa schon, ich hätte dich allein gelassen? « Leon lachte. »Hübsch, nicht? Das Alleinsein läßt dich allein. Aber es ist in Wahrheit eine verdammt treue Seele. Es haut nicht so einfach ab.«
    »Leon«, sagte Jessica sanft, »du solltest jetzt aufhören, nachzudenken. Du siehst unglaublich schlecht aus. Du brauchst dringend
Schlaf. Ich könnte dir ein leichtes Schlafmittel geben, du streckst dich hier auf dem Sofa aus und schläfst endlich mal zwölf Stunden hintereinander. Du wirst hinterher besser dran sein.«
    »Ich will nicht schlafen. Ich will mit dir reden.«
    Sie seufzte. »Mit allem, was du sagst, quälst du dich nur. Das ist nicht gut.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich will nicht über meine … Familie reden. Über Patricia und die Kinder. Das halte ich manchmal aus und manchmal nicht. Heute halte ich es nicht aus.«
    »Leon …« Sie hatte Angst vor nahezu allem, was er sagen könnte. Sie hatte Angst vor Selbstanklagen, Situationsanalysen. Sie hatte Angst vor seinem Schmerz, weil es auch ihr Schmerz war, den sie sich so mühsam vom Leibe hielt und der sich Leons Worte als Hintertür würde bedienen können, um sich heimtückisch an sie heranzuschleichen. Sie bereute es, ihn in ihr Haus gelassen zu haben. Sie wollte allein sein. Sie wollte die Chance haben, ihren eigenen Scherbenhaufen zu kitten. Sie wollte ihre Scherben nicht mit denen eines anderen Menschen vermischen.
    »Ich will dir von Marc erzählen«, sagte er.

Vierter Teil

    Es war dunkel und kalt. Doch er fand, das war genau die richtige Atmosphäre für das, was sie taten. Das Frieren gab der Sache einen ernsthafteren Anstrich, der flackernde Kerzenschein, der nur schwach die Gesichter ringsum beleuchtete, machte sie abenteuerlicher. Manchmal bewegte sich jemand, und dann knarrte ein Dielenbrett, und die anderen zischten: »Psst!«
    Sollte jemand von den Lehrern oder Erziehern auf sie aufmerksam werden, würden sie alle der Schule verwiesen werden - ohne die geringste Hoffnung auf Gnade oder auf das Gewähren einer zweiten Chance. Das wußten sie, und das machte es so spannend. Rauchen gehörte zu den Todsünden im Internat. Es war schlimmer als Alkoholkonsum. Der wurde auch geahndet, aber bei weitem nicht so unnachsichtig. Man kam in der Regel mit einem Verweis davon, durfte sich dann allerdings für den Rest der Schulzeit nicht den geringsten Fehltritt mehr erlauben.
    Die Spitzen der Zigaretten glühten rot in der Dunkelheit. Inzwischen stand dicker Qualm in dem kleinen Raum und machte das Atmen mühsamer. Die Jungen hatten sich in eine winzige Abstellkammer zurückgezogen, nicht mehr im Grunde als eine Art Verschlag, der mit Bretterwänden vom übrigen Dachboden abgeteilt war. Sollte jemand Geräusche hören und nachsehen kommen, hatten sie hier drin eine winzige Chance, der Entdeckung entgehen zu können. Zudem hofften sie, daß ihre Körperwärme zusammen mit den Kerzen und den Zigaretten die frostige Temperatur ein wenig in die Höhe treiben würde. In dem eigentlichen
Dachboden, der sich über die gesamte Länge und Breite des riesigen Schulgebäudes erstreckte, wäre ein solcher Wunsch völlig unsinnig gewesen.
    Die Jungen rauchten konzentriert und redeten wenig. Es gab auch kaum etwas, worüber man hätte sprechen müssen. Ein schweigendes Gemeinschaftserlebnis konnte intensiver und eindringlicher sein als eines, bei dem ein lebhafter verbaler Gedankenaustausch stattfand. Diese Nacht auf dem Dachboden hatte ihre eigene Bedeutung: In zehn Tagen war Weihnachten, und die Jungen würden einander drei Wochen lang nicht sehen. Insofern hatte das geheime Treffen in Kälte und Dunkelheit den Charakter einer Abschiedsfeier. Aber darüber hinaus sollte diese Nacht auch etwas sein, das sie in ihren Erinnerungen mitnehmen konnten. Für später, für die Zeit nach der Schule. Er stellte es sich so vor, daß das Leben am Ende einfach eine Ansammlung von Erinnerungen sein würde: traurige Erinnerungen natürlich auch, um die käme man nicht herum. Daher

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