Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
mißtrauisch.
Seitdem Greg krank war, interessierte sie sich für seinen weiblichen Bekanntenkreis, der ihr früher ziemlich gleichgültig gewesen war. Aber nun hegte sie die verschiedensten Befürchtungen: daß er eine Frau kennenlernen und mit ihr weggehen könnte. Oder daß er eine Frau auf den Hof bringen würde, mit der sie, Gloria, nicht zurechtkam. Die neue Situation überforderte sie ohnehin schon, sie wollte nicht, daß sich nun noch etwas änderte.
»Du kennst sie nicht«, sagte Keith, warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus.
»Also nichts Ernstes?« vergewisserte sich Gloria.
Es war der Moment, in dem Keith begriff, daß es nichts Ernsteres je in seinem Leben gegeben hatte.
Auf einmal hätte er seine Mutter am liebsten umarmt. Er tat es nicht. Eine solche Geste war nicht üblich zwischen ihnen und hätte Gloria nur erschreckt und verwirrt.
12
Es war wie ein Déjà-vu, aber Phillip wußte genau, daß es ihm nur so vorkam. In Wahrheit wiederholte sich einfach eine Situation, die er in der Woche zuvor schon erlebt hatte: Es regnete in Strömen. Er war auf dem Heimweg. Er sah Licht hinter seinen Fenstern. Er wußte, daß sie da war.
Er kam diesmal nicht vom Anwalt, sondern aus dem Archiv des Observer . Im Grunde hatte er während des letzten Jahres alles zusammengetragen, was es an Pressematerial über seinen Vater gab, aber an manchen Tagen konnte er es nicht lassen, sich erneut in die Suche einzugraben, immer in der vagen Hoffnung, doch noch auf eine Spur zu stoßen, die zu seiner Mutter und damit zu ihm führen würde. Oder die in ihm das Verständnis hervorrufen würde, weshalb Kevin McGowan seine Geliebte Angela Bowen verleugnet, sitzen gelassen, aus seinem Leben gestoßen hatte. Vielleicht gab es Gründe. Gute, überzeugende Gründe, die ihn, Phillip, seinem Vater näherbringen und ihn mit ihm versöhnen würden.
Er hatte nichts gefunden, nichts, was er nicht schon hatte in einem seiner vielen Ordner, und irgendwann hatte er gemerkt, daß er hungrig war und daß seine Augen schmerzten. Er hatte auf die Uhr gesehen. Es war halb sieben.
Als er auf die Straße trat, regnete es. Der Tag hatte warm und sonnig begonnen, aber am Nachmittag waren dichte Wolken herangezogen. Der Himmel öffnete alle Schleusen. Phillip hatte wieder keinen Schirm, keinen Mantel. Den mäßigen Schutz der Vordächer ausnutzend, war er die Straße entlanggesprintet, bis er ein pakistanisches Restaurant erreichte. Es war ziemlich voll dort, weil viele Menschen einen Unterschlupf suchten, aber es gelang ihm, einen kleinen, freien Tisch zu ergattern. Ein Blick in seinen Geldbeutel eröffnete ihm die Aussicht, daß er tatsächlich ausnahmsweise ein paar Pfund dabeihatte. Es reichte für ein Bier und einen Teller Reis mit Gemüse.
Das Essen schmeckte, seine nassen Klamotten trockneten, der Alkohol wärmte ihn. Er bestellte noch einen Schnaps, betrachtete ein wenig die Leute ringsum. Er schnappte Gesprächsfetzen auf, ohne ihnen jedoch wirklich zuzuhören. Er befand sich in einer friedlichen, zuversichtlichen Stimmung.
Während des Nachmittags hatte er einen Plan gefaßt. Er hatte sich mit Kevin und Patricia und mit dem deutschen Zweig der Familie beschäftigt. Nicht zum erstenmal, aber mit mehr Entschlossenheit und Mut als sonst. In England hatte Kevin McGowan keine Verwandten mehr. Aber nie hatte er versucht, herauszufinden, ob es Angehörige in Deutschland gab. Vielleicht lebte Kevins Sohn noch, außerdem mochte es irgendwelche entfernten Tanten, Onkel, Cousinen oder Cousins geben. Vielleicht hatte Kevin zu dem einen oder anderen von ihnen nach seiner Scheidung Kontakt gehalten. Vielleicht gab es einen Vertrauten, dem er sogar von Angela Bowen erzählt hatte. Vielleicht gab es Spuren, denen bislang niemand gefolgt war.
Er würde es jetzt tun. Er würde nach Deutschland reisen. Nach Hamburg. Dort hatten Kevin und Patricia gelebt. Dort nahm die Fährte ihren Anfang.
Er hatte ein bißchen Geld von seinem Synchronisieren. Mit der Miete war er im Rückstand, aber noch hatte sich der Hauseigentümer nicht bei ihm gemeldet, und Kummer war er von ihm ohnehin gewöhnt. Wenn er ehrlich war, mußte er zugeben, daß seine Barschaft zur Zeit deshalb besser aussah als sonst, weil Geraldine so oft bei ihm war und alles finanzierte, was im Alltag anfiel: Essen und Trinken, die Stromrechnung, das Geld für die Tageszeitung. Auf ihre Kosten hatte er ziemlich sparsam gelebt in den letzten Wochen. Kein Grund für ein schlechtes
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