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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Gewissen, wie er fand. Er hatte sie, weiß Gott, nicht gebeten, sich bei ihm einzunisten.
    Es war neun Uhr, als er das Lokal verließ. Es dämmerte, und der Regen strömte unvermindert heftig. Es würde in dieser Nacht nicht mehr aufhören, deshalb hatte es keinen Sinn, zu warten.
Der Gedanke an ein Taxi war verführerisch, gerade weil er ein wenig übriges Geld hatte, aber natürlich verbot er sich diese Möglichkeit sofort. Die Reise nach Deutschland hatte oberste Priorität.
    Und so kam es, daß er wieder in der vollen U-Bahn stand und den widerlichen Geruch nasser Mäntel atmete, daß er wieder durch den Regen seinem Haus zustrebte, daß ihm wieder Enge und Häßlichkeit des Viertels ins Auge sprangen. Und daß er wieder das erleuchtete Fenster sah. Es war halb zehn inzwischen. Eigentlich hatte er gehofft, sie wäre gegangen, verärgert, weil er nicht zum Essen erschienen war und sich nicht einmal telefonisch gemeldet hatte. Wahrscheinlich, dachte er resigniert, sitzt die Schreckschraube Lucy wieder da. Die beiden kippen eine Flasche Sekt und haben gar nicht bemerkt, wieviel Zeit vergangen ist.
    Obwohl im Inneren sanft gestimmt wegen des Alkohols und des Entschlusses, nach Deutschland zu reisen, merkte er doch, wie Aggressionen in ihm aufstiegen. Vielleicht auch deshalb, weil ihm schon jetzt klar war, wie sie zetern würde, wenn er ihr eröffnete, was er vorhatte.
    Als er die Tür zu seiner Wohnung aufschloß, fiel ihn sofort beißender Qualm an, und er mußte husten. Rauch wogte durch das Zimmer, und Phillip begriff nicht sofort, aus welcher Quelle er stammte. Dann sah er Geraldine, die vor dem kleinen eisernen Ofen kniete, der sich ganz hinten im Zimmer unter die tief herabgezogene Dachschräge duckte.
    Phillip hatte den Ofen noch nie benutzt. Er hatte schon im Zimmer gestanden, als er einzog, und der Vermieter hatte gemeint, man könne ihn ruhig entfernen, da ja das ganze Haus, auch der Dachboden, mit Zentralheizung ausgestattet worden war. Phillip war das egal gewesen, und letztlich war der Ofen geblieben, wo er war: verrußt und verstaubt und ohne Funktion.
    Und nun hatte sich Geraldine offensichtlich zu einem romantischen Kaminabend entschlossen, und das im Mai, und nur, weil es draußen regnete!

    Was führt sie jetzt schon wieder im Schilde? fragte er sich genervt. Warum, verdammt, kann sie nicht einfach mal Ruhe geben?
    Sie war dabei, zerknäulte Zeitungen in die Flammen zu schieben, wobei sie gar nicht zu bemerken schien, daß das Feuer ohnehin schon viel zu hoch schlug, daß der Rauch nicht richtig abzog und daß sie selbst schon hustete und keuchte. Obwohl er nasse, dreckige Spuren auf dem Teppich hinterließ, lief Phillip sogleich in Straßenschuhen zum Fenster und riß es auf.
    »Willst du uns vergiften?« fragte er. »Was, zum Teufel, tust du denn da?«
    Sie hatte ihn nicht kommen hören und schrak zusammen. Sie blickte auf. Er bemerkte Rußpartikel in ihrem Gesicht, auf ihrem weißen Pullover. Sie war sehr blaß. Ihre Hände zitterten.
    »Ich verbrenne Zeitungen«, sagte sie.
    »Wieso das denn? Wir haben da draußen einen Altpapiercontainer, und …«
    Er sprach nicht weiter. Jetzt erst, langsam, fast in Zeitlupe, begriff er das Bild, das er vor sich sah: die Ordner, die um den Ofen herum lagen. Die große Küchenschere auf dem Boden. Die wenigen verbliebenen Zeitungen, zumeist schon in Fetzen gerissen. Reste von Fotos. Das leere Regal im Hintergrund. Geraldines fahles, unnatürlich bleiches Gesicht. Ihre Hände, deren Zittern sie nicht unter Kontrolle zu bekommen schien.
    Er starrte sie an. Es kostete sie offensichtlich Kraft, aber sie senkte nicht den Blick. Doch er registrierte die Angst in ihren dunklen Augen.
    »Was hast du getan?« fragte er, obwohl er es eigentlich schon wußte. Seine Stimme klang krächzend, und das lag nicht am Qualm.
    Sie machte eine hilflose Bewegung mit beiden Armen. »Ich dachte …« Sie verbesserte sich: »Ich denke, es ist besser für dich … für uns , wenn du dich befreist. Du bist ein Gefangener deiner Idee, und …« Was sie in seiner Miene las, brachte sie dazu, den Satz nicht zu beenden.

    »Du hättest es nie geschafft«, sagte sie statt dessen leise, »du hättest dich nie lösen können.«
    Er war so fassungslos über das, was sie getan hatte, daß in einem völlig irrationalen Winkel seines Gehirns noch immer die Hoffnung existierte, er könne sich irren, und die Szene vor seinen Augen stelle in Wahrheit nicht das dar, was sie darzustellen

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