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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gemacht, würden nun studieren, Prüfungen bestehen, Liebschaften haben, an ernsthafte Bindungen denken. Aber da würde nicht der Schatten des toten Freundes neben ihnen stehen. Der Schatten eines jungen Menschen, den sie geopfert hatten. Wofür? Die Sinnlosigkeit, die Überflüssigkeit dieses Opfers muß ihnen immer wieder zu Bewußtsein gekommen sein. Denn auch zwischen Alexander und seinem Vater hatte sich nichts dadurch geändert, daß Alexander diese tolle Eliteschule absolviert hatte. Er wurde von ihm weiterhin verachtet und zunehmend ganz ignoriert.
    Sie hatten Marcs Leben hingegeben und nichts dafür zurückbekommen.
    Ihrem jeweiligen Naturell entsprechend, gingen sie unterschiedlich mit diesem Trauma in ihrem Leben um. Alexander - na ja, wie gesagt, er hatte diese Alpträume, war oft in sich gekehrt, grüblerisch. Fast schwermütig. Tim hingegen riß seine große Klappe immer weiter auf, prahlte mit seinen phantastischen therapeutischen Fähigkeiten und dem vielen Geld, das er verdiente. Er liebte es, andere zu analysieren und sie dabei auf subtile Weise niederzumachen. Wahrscheinlich fühlte er sich dann größer und stärker. Und nicht mehr als der jämmerliche Feigling, der er damals, genau wie die anderen, gewesen war.
    Und Leon? Leon ist ein wirklich gut aussehender Mann, das ist Ihnen sicher genauso aufgefallen wie mir, und natürlich holte er sich seine Selbstbestätigung in den Betten zahlreicher Frauen. Auch dann noch, als er längst mit Patricia verheiratet war. Auch dann noch, als er zwei niedliche kleine Töchter hatte. Er vögelte, was immer weiblich war und seinen Weg kreuzte. Er ließ sich von seinen Referendarinnen anhimmeln und hatte mit jeder einzelnen von ihnen ein Verhältnis. Woher ich das weiß? Er konnte den Mund nicht halten über seine Erfolge bei den Frauen. Hat sich Tim anvertraut. Und Tim hat es Evelin erzählt. Und Evelin mir. So waren sie, diese engen, engen Busenfreunde: Letztlich hat da immer wieder einer den anderen verraten.

    Ich habe mich oft gefragt, inwieweit jenes Verbrechen in ihrer Jugend - denn ein Verbrechen kann man das schon nennen, finden Sie nicht? - wohl ursächlich war für ihre Unfähigkeit, ihre Freundschaft innerhalb eines normalen Wechselspiels zwischen Nähe und Distanz zu führen. Ich meine, wir haben alle gute Freunde, zum Teil auch noch aus der Schulzeit, und ich empfinde es als große Bereicherung des Lebens, wenn diese Freundschaften sich über den Ablauf langer Jahre bewähren. Aber es gibt Zeiten, da rückt man näher an den einen heran, und dann an einen anderen, und dann gibt es Zeiten, da geht man eigene Wege und ist mehr mit der Familie beschäftigt oder mit dem Beruf und neuen Bekanntschaften, die sich aus beidem ergeben. Aber die drei, Alexander, Leon und Tim - sie krallten sich immerzu aneinander. Gemeinsame Ferien. Gemeinsame Theater- und Opernbesuche. Abendessen. Wochenendausflüge. Was weiß ich nicht alles. Ging Ihnen das nie auf die Nerven? Ich hätte manchmal schreien können, wenn wir schon wieder als Clique loszogen. Ich hatte nicht den Eindruck, einen Mann geheiratet zu haben. Ich hatte drei Männer geheiratet und dazu deren ganzen Anhang.
    Meine Theorie ist die, daß es die gemeinsame Schuld war, die sie derart zwanghaft aneinanderfesselte. Keiner von ihnen konnte je vergessen, was geschehen war, und gemeinsam konnten sie es leichter ertragen. Draußen, unter den sogenannten normalen Menschen, müssen sie sich manchmal wie Monster gefühlt haben. Miteinander jedoch gewann jene grauenhafte Nacht eine Art eigene Normalität. Ein Monster unter Monstern fühlt sich womöglich nicht mehr als Monster. Es lebt nicht mehr nur in seinem von der übrigen Welt ausgegrenzten Ich . Es kann sich wieder als Teil eines Wir fühlen. Und brauchen wir nicht alle immer wieder ein Wir-Gefühl? Der eine mehr, der andere weniger? Alexander, Tim und Leon jedenfalls schienen förmlich in ihrem ganzen Selbstwert davon abzuhängen.
    Vielleicht haben sie auch immer wieder Gespräche untereinander geführt, in denen sie sich rechtfertigten, Erklärungen suchten,
einander gewissermaßen immer wieder von neuem vergaben. Ich weiß das nicht, aber ich vermute es. Ich könnte es mir gut vorstellen. Von wem hätten sie Absolution bekommen können, wenn nicht voneinander? Nur daß diese nie lange vorhielt. Sie mußte ständig erneuert werden.
    Als Stanbury in ihr Leben trat - indem Leon Patricia heiratete -, bekam ihre Freundschaft eine weitere Dimension. Nun gab es

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