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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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mehr damit zu tun hat, als man sich ausmalen möchte.
    Und zwischen Tim und Evelin lief es natürlich auch furchtbar schief, im Grunde von Anfang an. Er hat sie bei einem Seminar kennengelernt, irgend etwas wie So werden Sie über Nacht ein selbstbewußter Mensch . Tim hatte gerade sein Diplom gemacht und stürzte sich mit Feuereifer ins Berufsleben, was bedeutete, er bot Kurse und Seminare mit eben Themen dieser Art an. Lief übrigens sofort ungemein erfolgreich, und Tim verdiente richtig viel Geld. Dieses guruhafte Äußere, das er hatte, wird von vielen Menschen als sehr vertrauenerweckend empfunden. Dazu diese etwas schleimige Art, mit der er gern in seine Patienten hineinkroch - manche glaubten offenbar, mit ihm dem Heilsbringer begegnet zu sein, der sie aus dem tagtäglichen Schlamassel ihres Daseins herausführen würde. Ich persönlich bezweifle, daß er jemals jemandem wirklich hat helfen können.
    Jedenfalls saß da also auch Evelin unter den Teilnehmern und hoffte, etwas zu lernen, womit sie ihr schwaches Selbstwertgefühl aufbessern konnte. Kaum daß die beiden ein Paar waren, lernte ich sie kennen. Ich muß sagen, sie war bei weitem nicht so schlecht dran wie später, als sie dann mit Tim verheiratet war. Sie wirkte außerordentlich schüchtern und gehemmt, aber nicht depressiv, und sie war viel schlanker als später. Sie ging in eine psychotherapeutische
Behandlung, die ihr recht guttat, und womöglich hatte sogar dieser Arzt den Anstoß dazu gegeben, daß sie sich zu Kursen wie dem von Tim anmeldete. Ist ja auch eine Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen und Kontaktschwächen zu überwinden. Er konnte nicht voraussehen, daß sie sich mit Tim liieren würde, was dann zum Verhängnis ihres Lebens wurde. Sie hat übrigens nie wirklich darüber gesprochen, weshalb sie seit frühester Jugend und dann über so viele Jahre psychotherapeutische Betreuung brauchte. Es gab ein paar Andeutungen, denen ich zu entnehmen meinte, daß sie eine ziemlich gewaltgeprägte Jugend hinter sich hat, aber Genaues weiß ich nicht. Es würde allerdings dazu passen, daß sie mit Tim erneut in einer Lebenskonstellation gelandet ist, in der Gewalt eine Rolle spielte. Physische wie psychische Gewalt. Verbal machte er sie so lange nieder, bis sie glaubte, der letzte Dreck zu sein und im Grunde meinte, ihm die Füße küssen zu müssen vor Dankbarkeit, daß er sich mit so etwas wie ihr überhaupt abgab. Ja, und dann ihre vielen Verletzungen, ihre blauen Flecken, ihre Prellungen … diese vielen Sportunfälle… Unsere tolpatschige Evelin! Schon wieder gestolpert, schon wieder unglücklich gefallen, schon wieder irgendwo dagegengerannt. Die neckischen Kommentare der anderen am Frühstückstisch … Soll ich Ihnen etwas sagen, Jessica? Jeder hat es gewußt. Jeder hat ganz genau gewußt, daß das keine Sportunfälle waren. Jeder hat gewußt, daß Evelin überhaupt keinen Sport macht. Ich habe es ein paarmal erlebt auf Stanbury, da haben Leon oder Alexander im Wohnzimmer die Stereoanlage lauter gedreht, wenn es oben in ihrem Zimmer zwischen Evelin und Tim losging. Ich meine nicht Sex. Ich meine, wenn er sie in den Bauch boxte oder ihr den Arm verdrehte oder ihr mit aller Kraft gegen das Schienbein trat. Wenn sie schrie. Da wurden sie zu den berühmten Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sprechen. Die heilige Freundschaft. Tim war einer von ihnen. Sie gehörten zusammen. Sie pflegten ihre Stanbury-Idylle. Ein gewalttätiger Ehemann in ihren Reihen hätte alles
zerstört. Also gab es ihn einfach nicht. Also war alles in Ordnung. Also hatte Evelin einfach Pech beim Sport.
    Über meine Ehe mit Alexander will ich nicht sprechen. Ich denke, da sind Sie auch einfach die falsche Adresse. Ich will Ihnen nur etwas über unser endgültiges Scheitern sagen: Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Seine Freunde, dieses zwanghafte Miteinander, die Verlogenheit. Die vor allem, die Verlogenheit.
    Ich hatte ihm ein Ultimatum gestellt. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt sollte er sich zwischen mir und seinen Freunden entscheiden. Ich wollte ein eigenes, unabhängiges Leben mit ihm und Ricarda.
    Natürlich hat er es nicht geschafft, sich von den anderen abzunabeln. Natürlich hat er sich gegen mich und damit gegen den Fortbestand unserer Ehe entschieden. Es hat mich nicht einmal wirklich erstaunt. Ich glaube, ich hatte es erwartet, ich habe gewußt, wie der Kampf ausgehen würde. Ich denke, ich habe dieses Ultimatum nicht gestellt, um zu gewinnen,

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