Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
Wellen des eilig murmelnden Baches nach. Wie süß, wie sommerlich die Luft roch.
    Ich liebe es, dachte sie fast erstaunt, ich liebe dieses Land. Diese Gegend. Die Wiesen, die Weite. Die Hochmoore in ihrer Kargheit, die blühenden Täler. Die Schafe. Die steinernen Mauern, die die Wiesen durchziehen. Die schmalen Straßen, an deren Rändern wilde Blumen wuchern. Die Dörfer aus grauem Stein. Trotz allem, was war, kann ich hier einen fast vollkommenen inneren Frieden finden.
    Sie spürte etwas wie Neid, als sie an Ricarda dachte, die von nun an hier leben würde. Die mit dieser Natur verwachsen, ein Teil von ihr werden würde. Die sich durch die langen, kalten und
oft schneereichen Winter kämpfen und den Frühling mit tiefer Sehnsucht begrüßen würde, die an Sommertagen wie diesem barfuß durch das leuchtend grüne Gras der Täler laufen und im Herbst den ersten rauhen Winden begegnen würde, die über die Hochebenen jagten. Wie unbeirrt sie ihren Weg gewählt hatte, mit welch instinktiver Sicherheit sie gewußt hatte, was sie brauchte und wo sie ihre Heimat finden würde.
    Ich wünschte, dachte Jessica, mein eigener Weg würde so klar vor mir liegen.
    Sie sah auf die Uhr. Es war fast elf, ganz allmählich mußte sie aufbrechen. Plötzlich war eine eigenartige Unruhe in ihr, und als sie sie zu ergründen suchte, begriff sie, daß es der Gedanke, Stanbury House nicht noch einmal zu sehen, war, der sie quälte. Und daß sie hierher, an diese Stelle, gekommen war, weil sie eigentlich zu dem alten Haus gewollt, es sich aber nicht zugetraut hatte. Es wäre unmöglich für sie gewesen, direkt zum Dorf zu gehen.
    Noch einmal schaute sie auf die Uhr, als ob sich innerhalb einer Minute etwas Entscheidendes an der Zeit geändert hätte. Sie mußte sich nicht lange aufhalten, und bis ein Uhr konnte sie trotzdem wieder im The Fox and The Lamb sein.
    Und was sollte schon passieren? Wenn sie der Anblick des Hauses nervlich überforderte, konnte sie sofort umdrehen und weglaufen.
    Sie straffte die Schultern und schlug die vertraute Richtung ein.
     
    Etwa eine halbe Stunde später erreichte sie den Park von Stanbury House. Sie näherte sich dem Anwesen von der rückwärtigen Seite, durchquerte das kleine Wäldchen, das hier das Grundstück begrenzte, und sah sich dann, als die Bäume sich teilten, unvermittelt dem Haus gegenüber, das, in strahlendes Sonnenlicht getaucht, wie ein idyllisches Postkartenbild aus einer vergangenen Epoche wirkte. Die Terrasse, die morgens immer im
Schatten lag, war bereits überflutet von Sonne. Es war ein Tag, an dem man sich einen Sonnenschirm und einen Liegestuhl aufgestellt und viele Stunden mit einem Buch verbracht hätte. Eine fast mediterrane Szenerie, wie sie sehr selten in Nordengland anzutreffen war, aber dann war sie von einem ganz besonderen Reiz.
    Zögernd trat Jessica auf die Lichtung hinaus. Das Gras stand hoch, reichte ihr bis fast an die Knie. Jetzt, da sie genauer hinsah, erkannte sie, daß die vermeintliche Idylle bereits von den Anzeichen allerersten Verfalls getrübt wurde. Oder vielleicht eher von den Anzeichen erster Verwilderung. Aber zum Verfall wäre es dann nicht mehr weit. Sie hoffte, daß Leon rasch eine Entscheidung treffen würde, was Stanbury House betraf. Es durfte nicht einfach langsam zugrunde gehen, von Wildnis überwuchert und von den Naturgewalten Stück um Stück zerstört werden. Zerbrochene Fensterscheiben, bröckelnde Mauern, Gestrüpp, das in zerborstene Türen hineinwucherte. Sie konnte es fast vor sich sehen, und es stimmte sie unerwartet traurig.
    Langsam durchquerte sie den Garten, näherte sich der Terrasse. Entlang der Balustrade standen die großen Terrakottatöpfe, die Patricia noch am letzten Tag ihres Lebens mit Fuchsien, Geranien und Margeriten bepflanzt hatte. Alle Blumen ließen traurig Köpfe und Blätter hängen, die Erde, in der sie wuchsen, sah staubtrocken aus. Es hatte wohl schon lange nicht mehr geregnet, und niemand kümmerte sich um sie. Einer plötzlichen Eingebung folgend, drehte sich Jessica um und ging in Richtung des kleinen Geräteschuppens, der sich auf der Westseite des Hauses befand. Dort gab es eine große Gießkanne, und sie wußte, daß sich am Kellereingang des Hauses ein Wasserhahn befand. Sicher hatte niemand das Wasser abgestellt. Sie würde die armen Blumen ausgiebig gießen, und vielleicht würde es dann im Sommer wieder öfter regnen, und sie konnten bis zum Herbst überleben. Aus irgendeinem Grund war ihr dies auf

Weitere Kostenlose Bücher