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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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den Blütendüften des Gartens hin.
    Jessica öffnete die Augen erst wieder, als eine dicke Biene um ihr Gesicht herumbrummte. Sie verjagte das Insekt und setzte sich aufrechter hin.
    »Schreibst du einen Brief?« fragte sie mit einem Blick auf die Papiere, die in Evelins Schoß lagen.
    Auch Evelin schlug die Augen auf. »Nein. Ich habe etwas gelesen. «
    »Dann laß dich nicht stören. Ich …«
    Aber Evelin schüttelte den Kopf. »Du störst mich kein bißchen. Ich wollte ohnehin mit dir über diese Aufzeichnungen sprechen. «
    »Aufzeichnungen von dir?«
    »Von Tim. Die Aufzeichnungen, die er am Morgen des … Tages damals gesucht hat.«
    Sie erinnerte sich sofort und wußte nun, weshalb etwas in ihrem Gehirn auf den Anblick des Papierstapels in der hellgrünen Klarsichtfolie reagiert hatte. Sie hatte Tims aufgebrachte Stimme im Ohr: »Ein Stapel Computerausdrucke! Ich suche schon den ganzen Morgen danach!«

    »Woher hast du sie? Tim hat sie wie verrückt gesucht an jenem Tag!«
    »Ich hatte sie weggenommen und versteckt.« Evelins Stimme klang gleichmütig. »Und jetzt habe ich sie mir wiedergeholt.«
    11
    »In der Sickergrube? Wie, um Himmels willen, bist du denn darauf gekommen?«
    »Es fiel mir plötzlich ein in der Eile. Ich dachte, da schaut bestimmt niemand nach.«
    »Nein, wirklich nicht. Da bestimmt nicht. Lieber Gott, Evelin, wie hast du denn die Steinplatte bewegen können?«
    »Die war wahnsinnig schwer. Im Schuppen habe ich eine Eisenstange gefunden, damit konnte ich sie schließlich anheben und herumwuchten. Ich habe die Folie an der Innenseite der Platte mit Dutzenden von Klebestreifen festgemacht. Erstaunlicherweise haben sie gehalten. Aber ich wollte das alles nicht hier lassen, und deshalb bin ich heute noch einmal gekommen.«
    »Und hast auf die gleiche Weise …«
    »Zuerst habe ich es mit bloßen Händen versucht, aber die Platte war nicht zu bewegen. Dann fiel mir die Stange wieder ein. Und damit ging es.«
    »Aber ich verstehe nicht …«
    »Am Abend vor dem Unglück hatte ich diese Papiere gefunden. Ich wußte, daß Tim an seiner Promotion arbeitete und damit sehr beschäftigt war. An jenem Abend hat er in unserem Zimmer gesessen und einige Seiten ausgedruckt, aber plötzlich klopfte Leon an und wollte mit ihm sprechen. Vermutlich ging es um dieses Darlehen, das Tim ihm gewährt hatte. Tim war unheimlich scharf darauf, das Geld zurückzubekommen, und deshalb sprang er sofort auf und ging mit Leon in dessen Zimmer
hinüber - ohne seine Unterlagen wegzuräumen. Ich hatte auf dem Bett gesessen und gelesen, und als die Sachen so herumlagen …« Evelin zuckte bedauernd die Schultern. »Ich hätte das natürlich nicht tun dürfen, aber auf einmal packte mich die Neugier, ich stand auf, ging zum Schreibtisch und fing an zu lesen …«
    »Und?«
    »Es handelte sich um diese Charakterstudien, von denen er am ersten Abend der Ferien hier gesprochen hatte. Erinnerst du dich? Es waren sehr spezielle Studien. Sie hatten euch alle zum Inhalt.«
    »Uns? Ich verstehe nicht …«
    »Tim hatte immer eine sadistische Art, in der er über andere Menschen sprach, genauer: über sie herzog, das weißt du. Oft genug hat er uns alle ja damit unterhalten. Aber besonders seine Busenfreunde Alexander und Leon haben sicher immer gedacht, daß er sich nie im Leben auf diese Weise über sie oder über ihre Frauen auslassen würde. Daß er diese fragwürdige Leidenschaft an Fremden austobte, aber natürlich nicht an den Menschen, die ihm am nächsten standen.«
    »Und doch hat er es getan?«
    »Mit Inbrunst. Er ist erbarmungslos über euch alle hergezogen. Es muß ihm einen Heidenspaß bereitet haben. Im Grunde wart ihr prädestiniert als Opfer, denn er kannte all eure kleinen Schwächen und Fehler und Schwierigkeiten … und er hat darin gebadet. Ausgiebig.«
    Jessica schluckte trocken. Es war nicht so, daß es sie wirklich überrascht hätte zu hören, daß Tim ein Lump war, denn etwas anderes hatte sie sowieso nie von ihm gedacht. Aber noch im nachhinein tat es ihr weh zu erfahren, daß Alexander von seinem Freund betrogen worden war, daß er eigentlich diesen Freund nie gehabt hatte.
    Ein Lügengebilde, dachte sie, wieder und wieder entlarvt sich das alles als Lügengebilde.
    Sie deutete auf die weißen Bögen. »Und du hast alles gelesen?«
    »Nein. Bei weitem nicht alles. Es dauerte an jenem Abend nicht lange, bis Tim zurückkam, und ich konnte mich gerade noch rechtzeitig auf mein Bett zurückziehen und meine

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