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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Neugier vertuschen. Tim war schlechter Laune, schimpfte auf Leon. Der hatte ihm offenbar eine Ratenzahlung angeboten, bei der es Jahre dauern würde, bis Tim sein Geld zurückhätte. Tim fluchte herum, nannte sich einen Trottel, daß er je so idiotisch gewesen war, einem Versager wie Leon soviel Geld zu geben. Er stopfte seine Papiere in die Schreibtischschublade, knallte sie zu.
    An diesem Abend konnte ich nichts mehr machen. Aber am nächsten Morgen, als Tim bereits nach unten gegangen war, nahm ich den ganzen Stapel wieder an mich. Ich wollte mich eigentlich irgendwohin zurückziehen und alles in Ruhe lesen, aber unglücklicherweise hatte Tim sich gerade vorgenommen, an seinen vernichtenden Psychogrammen weiterzuarbeiten. Du erinnerst dich, er zog wutschnaubend im Haus herum und suchte nach seinen Unterlagen. Ich konnte es nicht riskieren, von ihm entdeckt zu werden, und mußte rasch ein gutes Versteck für das ganze Zeug finden. Und da … na ja …«
    »Da fiel dir die Sickergrube ein. Guter Gott, was für ein scheußliches Versteck!«
    »Aber ein sicheres. Nicht einmal die Polizei hat die Papiere gefunden, und die haben ja hier überall das Unterste zuoberst gekehrt. «
    »Warum«, fragte Jessica, »hast du Tims Aufzeichnungen nicht einfach in die Schublade zurückgelegt? Oder sonst irgendwohin in euer Zimmer? Ich meine, im wesentlichen wußtest du ja nun, worum es bei seinem Geschreibsel ging. Hat es dich so brennend interessiert, auch noch die letzten Details zu erfahren?«
    »Nein. Mich hat es nicht weiter interessiert.«
    »Aber …«
    »Ich wollte es euch geben. Vor allem Leon und Alexander. Sie sollten es lesen.«
    »Was hättest du davon gehabt?«

    Evelin sah sie an. In ihre weichen Gesichtszüge, die bislang immer nur Schmerz, nie aber Wut verraten hatten, waren erste Linien der Verbitterung und Unversöhnlichkeit gegraben.
    »Gerechtigkeit«, sagte sie, »die habe ich mir erhofft. Ihr hättet nicht länger ignorieren können, was für ein Mensch Tim ist. Und dann hättet ihr mich anschauen müssen. Und vielleicht hätte mir endlich einer von euch geholfen.«
    12
Evelin, Dokument VI von Timotheus Burkhard
    Ich lernte Evelin im Frühjahr 1991 kennen. An einem sehr kalten Märztag, an dem es plötzlich noch einmal zu schneien begann, nachdem man schon geglaubt hatte, der Winter sei endgültig überstanden. Ich hielt eines meiner ersten Seminare: Methoden, das Selbstbewußtsein zu trainieren, anderen Menschen und den Anforderungen des Alltags positiv zu begegnen. Wie ich mir schon gedacht hatte, strömten mir die Teilnehmer nur so zu. Es ist erstaunlich zu sehen, wie viele Menschen ein Defizit im Bereich der Selbstbehauptung mit sich herumschleppen. Und wie unverdrossen sie bereit sind, viel Geld dafür auszugeben, um sich von diesem Problem zu befreien.
    Evelin saß in der letzten Reihe und fiel mir dadurch auf, daß sie noch schüchterner, zurückhaltender und ängstlicher war als der Rest der Gruppe - und es war auch so schon, weiß Gott, eine Ansammlung übelster Graumäusigkeit. Ich bemerkte übrigens zu dieser Zeit, daß die Arbeit mit Versagern - und mit denen hat man es als Therapeut ja ständig zu tun - ungeheure Aggressionen in mir freisetzte. Ein einziges Mal habe ich mir deshalb überlegt, ob ich für mich den richtigen Beruf gewählt
habe. Aber mir ist schnell klargeworden, daß ich mich nie davon würde losreißen können. Es gibt mir auch etwas, ihre hoffnungsvollen, verschreckten Gesichter zu sehen. Sie erwarten so viel von mir! Manche sind bereit, sich erstaunlich tief zu demütigen, damit ich ihnen helfe. Und sie öffnen sich ungeheuer weit, geben allerlei Details aus den intimsten Bereichen ihres Lebens von sich. Ich höre mir das an, und manchmal winde ich mich innerlich vor Ekel und Verachtung und - ja, Haß, und gleichzeitig weiß ich, daß es ein Lebenselixier ist, auf das ich nicht verzichten kann.
    Ich sah Evelin sofort an, daß es ihr vor nichts so graute wie davor, aus der Menge heraustreten zu müssen, und deshalb rief ich sie sogleich für das erste Rollenspiel auf, das ich vorbereitet hatte. Sie wurde abwechselnd rot und blaß und bekam flackernde Augen. Sie sah mich flehend an, wie ein Tier in einer todbringenden Falle, und ich weiß noch, daß ich hoffte, niemand würde meine Erektion bemerken, die mich jäh befiel und sich natürlich - wie das eben so ist - völlig meiner Kontrolle entzog.
    Als Evelin begriff, daß es keinen Ausweg gab, kam sie schließlich nach vorn, auf

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