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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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schlief tief und fest und gab hin und wieder leise Schnarchlaute von sich.
    Gegen halb zehn brachte Evelin die beiden Mädchen ins Bett, wie sie es Patricia versprochen hatte. Es war hübsch, den beiden zuzusehen, wie sie in ihren buntbedruckten Baumwollschlafanzügen herumturnten, ihre langen, blonden Haare bürsteten und miteinander plauderten und lachten. Evelin hatte auch noch einmal in Ricardas Zimmer gesehen, doch es war leer. Das Mädchen war von seinem geheimnisvollen Streifzug noch immer nicht zurückgekehrt. Evelin nahm die Angelegenheit bei weitem nicht so tragisch wie Patricia, aber langsam empfand auch sie Ricardas Verhalten als rücksichtslos. Daß Alexander sich größte Sorgen machte, war ihm anzusehen. Warum mußte sie ihm solche Schwierigkeiten bereiten?
    Sie spazierte noch ein wenig durch den Garten und merkte, daß es ein schlimmer Abend werden würde. Ihre Depression - oder wie immer man es nennen sollte - kam selten aus heiterem Himmel, sondern bahnte sich langsam an. Es gab bestimmte Komponenten, die ihr Auftreten begünstigten: eine allgemeine Mißstimmung um sie herum, heraufziehendes schlechtes Wetter, Veränderungen im Ablauf der Dinge.
    Ja, dachte sie, als sie durch den Garten lief, frierend, weil es plötzlich sehr kühl geworden war. Das vor allem. Eine Veränderung
im Ablauf der Dinge. Das bringt das Gerüst ins Wanken, das mich stützt. Die Dinge verändern sich, und ich habe das Gefühl, mitten im Sturm zu stehen.
    Dr. Wilbert, ihr Therapeut, hatte ihr immer geraten, sich in solchen Momenten ganz klarzumachen, was der Auslöser war.
    »Das hilft Ihnen, die Angelegenheit zu rationalisieren. Das Schlimme ist, daß Ihre Gefühle, Ihr Schmerz vor allem, so gänzlich ungehindert über Sie hereinbrechen. Versuchen Sie, logisch und sachlich damit umzugehen. Das könnte wie ein Damm wirken, der das Schlimmste zurückhält.«
    Sie bemühte sich, aber sie wußte trotzdem, daß sie heute wenig Erfolg haben würde. Schließlich war sie so verfroren, daß sie wußte, sie würde sich erkälten, wenn sie noch länger bliebe. Es war jetzt dunkel, aber zum erstenmal, seitdem sie hier waren, konnte man keine Sterne sehen. Der Himmel hatte sich zugezogen. Es roch nach Regen.
    Drinnen ging sie die Treppe hinauf, hielt jedoch vor ihrer Zimmertür inne. Tim arbeitete sicher wieder und würde ihr außer einem gelegentlichen geistesabwesenden Brummen keine Antworten geben.
    Dann lauschte sie nach den anderen, hörte aber nichts und vermutete, daß sich Jessica und Alexander in ihr Zimmer zurückgezogen hatten. Leon und Patricia waren wohl noch nicht zurück, und Ricarda wahrscheinlich ebensowenig. Sie huschte die Treppe hinunter; zumindest bemühte sie sich, leise und unauffällig zu sein, was für eine Frau von knapp neunzig Kilogramm nicht ganz einfach war. Schnell verschwand sie in der Küche, knipste das Licht an, schloß die Tür und lehnte sich aufatmend dagegen.
    Die Küche war für sie wie ein Refugium. Ein Rückzugsort, an dem sie sich geborgen und sicher fühlte. Das hatte sicher mit ihrer Kindheit zu tun, in der sie in einem verwinkelten, altmodischen Haus mit einer riesigen, herrlichen Küche gelebt hatte - eine Küche mit Steinfliesen auf dem Boden und blau geränderten
Porzellankacheln über Herd und Spüle und glänzenden, alten Kupferkrügen auf einem hölzernen Bord. Sie hatte ungeheuer viel Zeit in der Küche verbracht. Dr. Wilbert hatte diesem Umstand erstaunlich viel Beachtung geschenkt, wie ihr plötzlich einfiel.
    »Weshalb hielten Sie sich so häufig in der Küche auf? Was war es, was die kleine Evelin dorthin zog?«
    Sie hörte sich noch verlegen lachen. »Nicht, was Sie denken, Dr. Wilbert. Nicht das Essen. Auch wenn man es heute nicht mehr glaubt, aber ich war immer ein spindeldürres Ding. Meine Eltern hatten größte Mühe, mich zur Nahrungsaufnahme zu bewegen. «
    Er hatte in ihr Lachen nicht eingestimmt. »Wenn es nicht ums Essen ging - was war es dann?«
    Sie hatte überlegt. »Die Küche war einfach gemütlich. Groß und warm. Es roch gut. Es gab eine Tür, von der führten Stufen in den Garten hinunter. Der Garten war sehr verwildert, und die Stufen vor der Küche wurden überwuchert von Gras und Farn und lagen im Sommer ganz im Schatten von großen Jasminbüschen. «
    Die Tür und die Stufen waren, wie sich nach unzähligen Sitzungen herausgestellt hatte, das Entscheidende gewesen, aber sie war durch ein Tal der Tränen gegangen, bis Dr. Wilbert die Zusammenhänge aus ihr

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