Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
sich, war aber erstaunt, wie tief ihr Mann sie hatte erschrecken können. Sie begann zu ahnen, daß ihre unterschwellige Angst, ihre Ehe könnte plötzlich zu Ende sein, größer war, als sie es sich je eingestanden hatte.
»Bei uns geht es nicht nur ums Sparen.« Er wünschte, sie würde ein wenig schneller kapieren, was los war. »Wir werden unser Haus verkaufen müssen. Wir müssen eine Mietwohnung suchen, und …«
»Was?« Sie starrte ihn an, plötzlich wieder wach und angespannt. »Bist du verrückt? Wir können doch nicht unser Haus verkaufen!«
Das Haus in München hatten sie vier Jahre nach ihrer Heirat gebaut. Sie hatten einen hohen Bankkredit aufnehmen müssen, aber Leon war damals in einer sehr angesehenen Kanzlei assoziiert gewesen und hatte ein sehr gutes Gehalt bekommen. Mit den Zinszahlungen, davon war Patricia überzeugt gewesen, würden sie keine Schwierigkeiten bekommen. Außerdem, so hatte sie argumentiert, sei es doch zu schade, wenn sie nun sparten und knauserten und sich Jahre später darüber ärgern würden, daß ihr Haus nicht in jeder Hinsicht perfekt und allen ihren Wünschen entsprechend gelungen sei. Es gab keinen Stein, keine Diele, keinen Dachziegel und keine Tür, die sie nicht mit dem Architekten geplant und besprochen hätte. Sie war über Monate ständig auf der Baustelle gewesen, um die korrekte Umsetzung all ihrer Vorstellungen zu beobachten und Architekten und Bauleiter mit
ihren andauernden Änderungswünschen langsam um den Verstand zu bringen. Das Haus war ihr Kind. Sie hatte sich darin verwirklicht, und sie hatte es mit der jeden Zuschauer atemlos machenden Intensität getan, mit der sie jedes ihrer Projekte anging. Schon damals, so erinnerte sich Leon, hatte er in ihrer Gegenwart vorwiegend Erschöpfung gefühlt.
»Wir können nicht nur, wir müssen es verkaufen«, sagte er nun. »Ich kann schon sehr lange die Bankzinsen nicht mehr bezahlen. Genauer gesagt, ich mußte einen neuen Kredit aufnehmen, um meine Rückstände zu begleichen, und die nächsten Zinsen schnüren mir den Hals noch mehr zu. Mir gibt inzwischen keine Bank mehr etwas.« Er schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf. »Ich muß Ballast abwerfen, Patricia. Wir beide müssen es. Und das Haus ist Ballast!«
Nachdem sie zunächst wie befreit gewesen war, merkte sie nun, wie ein Gewicht sich auf ihre Schultern senkte und ihr Magen sich zusammenkrampfte und zu schmerzen begann. Sie litt unter einer chronischen leichten Magenschleimhautentzündung, was sich bei Streß und Aufregung unangenehm bemerkbar machte. Natürlich hatte sie ihre Tabletten nicht dabei. Sie hatte ja nicht mit einer so bösen Überraschung gerechnet.
»Aber das Haus … es ist …« Sie wußte nicht, wie sie ausdrücken sollte, was sie empfand. »Das Haus ist so wichtig für uns«, sagte sie, aber es war eigentlich nicht das, was sie hatte sagen wollen.
Leon sah mit einemmal sehr müde aus. »Ich weiß. Aber die Situation ist, wie sie ist. Ich habe sehr lange über einen anderen Weg nachgegrübelt, das kannst du mir glauben. Ich wollte es schaffen, daß ihr nichts merkt, du und die Kinder. Aber«, er strich sich mit einer Hand über das Gesicht, eine resignierte, ergebene Geste, »das ist mir nicht geglückt, und ich sehe keine Möglichkeit mehr, die ganze Misere vor euch geheimzuhalten.«
»Ich frage mich nur, wie es soweit kommen konnte«, sagte Patricia, während sie gleichzeitig im Kopf rasend schnell hundert
Möglichkeiten prüfte, die es geben mochte, um das Schlimmste womöglich zu verhindern. »Ich meine, du hast doch immer viele Mandanten, und …«
»Nein. Habe ich nicht. Es kommen nicht viele Leute zu mir. Vor allem nicht solche, die mir etwas einbringen. Kleine Mandate mit geringem Streitwert, an denen ich lange arbeite und wenig verdiene. Nachbarschaftszwistigkeiten über Gartenzwerge oder laute Musik oder ähnliches. Ich hätte früher nie geglaubt, daß der Beruf eines Anwalts so langweilig sein kann.«
»Aber es war doch mal anders! Früher, da hast du …«
»Früher war ich noch nicht selbständig. Da war ich Teil einer Firma gewissermaßen, und dieser Firma ging es gut, sie war alteingesessen und hatte eine hochkarätige Klientel. Der Ärger begann mit der Selbständigkeit.« Er sah ihrem Gesicht an, daß sie gerade überlegte, wer schuld daran war, daß Leon eine eigene Kanzlei eröffnet hatte, und fast hätte sie ihm damit ein freudloses, bitteres Lächeln abgerungen. Es war typisch für Patricia. Typisch
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