Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
gegenüber hatte durchblicken lassen. Patricias Überlegungen kreisten vor allem um die Frage, wie sie künftige Sparmaßnahmen vor den Freunden verbergen sollte. Falls die nicht ohnehin bereits alles wußten. Tim hatte Evelin wahrscheinlich davon erzählt, und die hatte es sicher sofort Jessica anvertraut. Und vielleicht hatte Tim auch schon mit Alexander gesprochen. Sie hatte das bedrückende Gefühl, daß sie die letzte gewesen war, die etwas erfahren hatte.
Wie konnte ich nur so lange nichts bemerken? fragte sie sich verzweifelt. Im letzten Sommer hatte sich Leon eine riesige Summe von Tim geliehen. Was bedeutete, daß ihm das Wasser bereits bis zum Hals gestanden haben mußte. Und sie hatte nichts mitbekommen. Nicht das geringste.
Das alles ist wieder einmal ein leuchtendes Aushängeschild für unsere prächtig funktionierende Ehe, dachte sie zynisch.
Als sie in die Einfahrt zu Stanbury House einbogen, sahen sie einen großen Wagen, der seitlich des Weges parkte. Seine Scheinwerfer waren ausgeschaltet, und fast hätte Patricia ihn für ein abgestelltes Fahrzeug gehalten, wobei sie sich allerdings in jedem Fall mißtrauisch gefragt hätte, weshalb jemand sein Auto unmittelbar vor dem Tor von Stanbury House stehen ließ. Nun aber erkannte sie im Licht der eigenen Scheinwerfer, daß sich etwas in dem Auto bewegte, woraufhin sie sich sofort alarmiert aufrichtete.
»Halt mal an! Da ist jemand.«
»Wo?« fragte Leon und bremste.
»In dem Auto dort. Ich wette, das ist dieser Hochstapler … dieser … wie heißt er noch? Phillip Bowen!«
»Na und? Laß ihn doch. Er steht vor unserem Grundstück, nicht darauf . Da kann man nichts sagen.«
»Trotzdem. Ich will, daß er verschwindet. Bleib stehen. Bleib stehen! «
Leon, der schon wieder angefahren war, bremste erneut. Patricia öffnete die Wagentür.
»Bleib im Auto, Patricia! Du weißt nicht, ob der Typ gefährlich ist! Jetzt mach dich doch nicht verrückt!«
Aber sie war schon draußen, machte zwei Schritte auf das Auto zu. Ein altes, rostiges Ding, so viel konnte sie erkennen, ein riesiges Gefährt, in dem man vermutlich wie in einem Kahn herumschaukelte und durch dessen Bodenlöcher man die Straße unter sich sah. Sie hatte gleich gewußt, daß dieser Bowen ein Habenichts war, der auf skrupellose Art versuchte, fremden Besitz an sich zu reißen.
Sie stand jetzt unmittelbar vor dem Wagen. Die Scheinwerfer von Leons Auto gaben ihr ein wenig Licht.
Sie sah in zwei erschrockene Gesichter.
Das eine gehörte einem jungen Mann.
Das andere gehörte Ricarda Wahlberg.
14
»Ich möchte, daß sie aus dem Zimmer geht!« sagte Ricarda, und ihr Blick, der erneut voll unversöhnlichem Haß war, richtete sich auf Jessica. »Ich habe von Anfang an gesagt: Wenn du mit mir sprechen möchtest, dann nur ohne J.!«
»Sie heißt Jessica, und ich …«, begann Alexander.
Jessica, die es für wesentlich sinnvoller hielt, daß Vater und Tochter allein miteinander sprachen, machte einen Schritt zur Tür hin. »Wenn ihr mich braucht, bin ich da«, sagte sie, »aber vorerst …«
»Du bleibst hier!« Das kam so ungewöhnlich scharf, daß Jessica Alexander erstaunt ansah. »Bitte«, fügte er leise hinzu.
Sie seufzte. Du kannst es doch nicht erzwingen, Alexander. Irgendwann wird sie mich akzeptieren, aber nicht auf diese Art.
Dennoch verharrte sie. Seine Hilflosigkeit tat ihr leid.
Alexander wandte sich an seine Tochter. Die beiden standen mitten im Zimmer, denn Ricarda hatte sich geweigert, den ihr angebotenen Platz anzunehmen. Zum erstenmal fiel Jessica die Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter auf. Da Ricarda die dunklen Farben ihrer Mutter geerbt hatte, herrschte bei jedem Beobachter auf den ersten Blick stets der Eindruck vor, sie habe mit ihrem blauäugigen, blonden Vater nichts gemeinsam und sei ganz und gar ein Abbild Elenas. Tatsächlich hatte sie jedoch seine kräftige Statur, sein eckiges Kinn und seinen etwas schmallippigen Mund geerbt, und jetzt, da sie zornig war, zeichnete sich auch die gleiche steile Falte über ihrer Nase ab wie bei ihm. Jeder hätte ihnen in diesem Moment die Verwandtschaft angesehen.
»Ich will den Namen des jungen Mannes wissen«, forderte Alexander. Nach dem Namen hatte er nun schon dreimal gefragt, und Ricarda hatte ebensooft entgegnet, sie werde ihn nicht nennen. Sie lebe ihr Leben, hatte sie gesagt, und ihr Vater habe darin nichts mehr verloren.
Auch jetzt schüttelte sie nur den Kopf. »Der geht dich nichts an.«
»Der geht
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