Am Ende des Winters
einfach – Tiere. Und Hreshs eigene Urahnen befanden sich hier, mitten unter den Tieren.
Seine Muskeln zuckten in zorniger Abwehr. Aber es gab kein Ausweichen, die Beweise waren nicht zu leugnen. Stückchen um Stückchen, Schritt für Schritt hatte diese Stadt ihn gezwungen, das zu erkennen und anzuerkennen, was er so mühevoll zu unterdrücken versucht hatte, seit sein Volk Einzug in Vengiboneeza gehalten hatte: In den Tagen der Großen Welt war seine Rasse als keineswegs zu den Menschlichen gezählt, sondern als einfache Tiere angesehen worden, nicht von gleichem Rang wie die Sechs Völker. Hochentwickelte, überlegene Tiere möglicherweise, aber eben doch nur Tiere, die man auf diese Weise in Gefangenschaft zur Schau stellen durfte, als ein Objekt unter vielen anderen, hier an diesem Ort, wo man die Tiere der Vorzeit besichtigen konnte.
Hresh fühlte sich benommen, durcheinander, am Boden zerstört. Lange stand er in dumpfer Betäubung da und stierte stumm vor sich hin. Die Leute in der Kammer – nein, die Geschöpfe in der Kammer… diese Tiere, die seine Verwandten waren – beachteten ihn nicht. Aber vielleicht konnte keines der im Baum des Lebens zur Schau gestellten Tiere jene sehen, die gekommen waren, um sie anzusehen.
Er winkte ihnen zu. Er trommelte gegen die durchsichtige Wand ihrer Kammer. Mit rauher, brüchiger, trotziger Stimme: »Ich bin Hresh – euer Bruder! Ich bin gekommen, euch frohe Botschaft zu bringen… daß die Kinder eurer Kindeskinder die Erbschaft und den Besitz der Welt antreten werden!« Aber die Wörter kamen wirr und stolpernd aus seinem Mund, und die Geschöpfe in der Kammer blickten nicht einmal auf.
Nach einiger Zeit stahl er sich davon und kehrte wieder nach draußen auf den Boulevard zurück. Er sah die grüne Zitadelle der Träumeträumer hoch über sich am Hang hocken. So düster das Bauwerk war, nun brannte es ihm mit dem wütenden Glast von tausend Sonnen entgegen. Er zuckte zusammen und wandte sich ab. Dort war der Ort für Menschen. Dies wußte er inzwischen mit zweifelsfreier Gewißheit. Ihr Tempel, ihre Herberge und ihr ganz persönliches Hauptquartier oder ihre Zentrale, oder was sonst. Ihr Ort, dachte er. Nicht der unsrige. Ein Ort für Menschen. Und was immer wir uns einbilden mögen, daß wir sind, das sind wir nicht.
Und wieder einmal glaubte er, das scheußliche zischelnde Lachen der Wächter am Stadttor zu vernehmen.
Kleiner Affe. Äffchen. Verwechsle nie deinesgleichen mit Menschen, Kind!
Er machte, daß seine Vision verblaßte, und tauchte aus dem antiken Vengiboneeza auf wie ein Ertrinkender, der sich mit heftigen Armbewegungen an die Oberfläche des Wassers rudert.
Nach seiner Rückkehr in die Siedlung sprach er mit keinem, nicht einmal zu Taniane, über das, was er gesehen hatte. Jedoch fühlte er sich seltsam ihr gegenüber, so als wäre er für sie durchsichtig. Sie starrte ihn aus der Ferne versteckt und zurückhaltend an, als wollte sie ihm zu verstehen geben: Du hast ein schreckliches Geheimnis in dir, das du nicht mit mir zu teilen wagst, aber ich kenne es schon.
In seiner Verwirrtheit und seinem Gram hielt er sich mehrere Tage lang von ihr fern, und als sie dann wieder miteinander redeten, handelte es sich um belanglose Dinge und war nichts weiter als eine Plauderei, oberflächlich und voller sorgfältiger Aussparungen. Er war nicht in der Lage zu etwas anderem in seinem derzeitigen Zustand, und sie schien dies zu wissen.
Einige Tage darauf brachen erneut die wilden Dschungelaffen über die Siedlung herein und zerschmetterten unter Geheul und Gekreisch Fenster, schleuderten Dreckbrocken und Kot und wieder die Nester der Stechinsekten herunter. Hresh funkelte die Eindringlinge voll wütenden Abscheus an. Jede Faser in seinem Herzen stöhnte bei der Vorstellung, daß das ‚Volk’ und diese ekelhaft dreckigen kreischenden Tiere vielleicht enge Verwandte sein könnten, wie die Künstlichen, die Wächter der Saphiräugigen dies behauptet hatten. Doch als dann Staip und Konya sich aufs Dach begaben und ein halbes Dutzend der Angreifer aufspießten, fror Hresh vor Entsetzen, mußte gegen die Tränen ankämpfen und sich abwenden. Er konnte es nicht ertragen, zuzuschauen, wie man sie so einfach abschlachtete. Ihm war das wie Mord. Er wußte nicht, was und wie er denken sollte, und er hatte das Gefühl, als könne er überhaupt nichts mehr verstehen und begreifen.
Minbain arbeitete auf dem Feld. Sie setzte die Frühlingsstecklinge der jungen
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