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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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im Neuen Frühling.
    Mit all ihrer Seelenkraft hatte es Koshmar danach verlangt, die Frau zu sein, die den Stamm aus dem Kokon in den Neuen Frühling führen würde. Nun, dies hatte sie getan, und was hatte es ihr eingetragen? Nichts als Verwirrung, Zweifel und Elend? Da lag sie, am hellichten Nachmittag, in sich verkrochen und verzweifelt, auf ihrem Bett, während um die Türme von Vengiboneeza blitzende silberne Sonnenspeere tanzten. Und sie? Stunde um Stunde brütete und brütete sie. In diesem Augenblick jetzt schien ihr die Zukunft nur aus unlösbaren Rätseln und Verzweiflung zu bestehen. Nie hatte sie sich dermaßen hoffnungslos gefühlt.
    Eine heisere Stimme vor ihrem Fenster krächzte: »Die Behelmten! Das Helmvolk! Die Behelmten kommen!«
    Und fast ehe der Sinn des Gebrülls ihr bewußt werden konnte, war Koshmar von ihrem Bett aufgesprungen, und ihr Herz pochte heftig, ihr Fell sträubte sich stachlig, ihr Körper und ihr Geist waren in voller Kampfbereitschaft.
    Eine wilde wütende Freude quoll in ihr auf. Versuchte ein feindlicher Stamm einzudringen? Na gut! Sollen sie nur kommen. Denen würde sie es schon besorgen. Ihr war das gerade recht. Es war besser, mit den Waffen gegen einen Feind zu kämpfen, als sich hier in aberwitzigen elendigen Grübeleien zu vergraben.
    Sie wählte aus ihrem Maskenarsenal die Nialli-Maske, welche die wildeste und grimmigste von allen war. Nialli, so ging die Sage, war ein Häuptling gewesen, in deren Herzen sich der Mut von zehn Kriegern versammelt hatte. Die Maske war ein blitzendes schwarzgrünes Ding, halb so breit wie lang, und mit sechs scharfen blutroten Stacheln bestückt, die auf allen Seiten steil hervorragten. Das Ding lastete schrecklich schwer auf Koshmars Wangenknochen. Schmale Sehschlitze ermöglichten ihr eine gewisse Sicht.
    Sie warf sich eine gelbe Rangschärpe um die Schultern. Sie ergriff ihren Häuptlingsspeer. Und sie lief auf die Straßenkreuzung hinaus, die vor dem Tempelturm lag.
    Wild und wie verrückt liefen die Leute vom Volk in sämtliche Richtungen.
     »Haltet ein!« brüllte Koshmar. »Allesamt – stillgestanden! Her zu mir! Hierher!«
    Sie erwischte die junge Weiawala am Handgelenk, als diese an ihr vorbeirannte. Das Mädchen schien vor Entsetzen halb von Sinnen, und Koshmar mußte sie heftig rütteln und schütteln, ehe sie sich einigermaßen wieder unter Kontrolle bekam. Aus ihr brachte Koshmar schließlich bruchstückhaft heraus, was vorging. Eine Heerschar häßlicher Fremder, die auf furchtbaren tierischen Ungeheuern ritten, waren durch das Südtor in die Stadt eingezogen, drüben an jenem Ort, wo die Mechanischen der Saphiräugigen plaziert waren. Sie führten Sachkor als Gefangenen mit sich. Und sie strebten hierher, auf die Siedlung zu.
    »Wo sind die Krieger?« fragte Koshmar.
    Konya, erklärte einer, war bereits zum Tor. Staip und Orbin waren zu ihm geeilt. Auch Hresh war bei ihnen, wahrscheinlich auch Praheurt. Lakkamai war angeblich im Anrücken. Keiner hatte Harruel gesehen. Koshmar sah Minbain in der Menge und schrie ihr zu: »Wo ist dein Mann?« Aber Minbain wußte es nicht. Boldirinthe sagte, sie habe gesehen, wie Harruel, mürrisch und düster, wie so oft in jüngster Zeit, am frühen Morgen allein in die Berge aufgebrochen war.
    Koshmar fauchte und spuckte. Die Feinde vor dem Tor, und ihr kräftigster und kundigster Krieger schlich sich in die Berge, um dort zu schmollen! Und dann noch eben jener, der ein solches Theater veranstaltet hatte, daß man Tag und Nacht Wache und Ausschau halten müsse gegen einen Angriff der Behelmten… und wo war er jetzt, wo die Behelmten wirklich kamen?
    Nun was! Wenn nötig, sagte sie sich, kann ich auch ohne Harruel zurechtkommen.
    Sie schwenkte ihren Speer über dem Haupt. »Die Frauen und Kinder – in den Tempel, und verbarrikadiert die Pforten des Allerheiligsten hinter euch! Die übrigen – mir nach! Salaman! Thhrouk! Moarn!« Sie schaute sich verwundert um. Wieso war Torlyri nicht da? Sie konnte nur mit Mühe sehen unter der Nialli-Maske; die scharf vorspringenden Stachelstrahlen verhinderten die Sicht zu beiden Seiten fast ganz. Aber es war eine schreckeinflößende Maske. »Torlyri?« fragte sie. »Hat jemand Torlyri gesehen?« Denn Torlyri war im Kampf so viel wert wie irgendein Mann.
    Dann erinnerte sie sich, daß Torlyri ja mit Hresh fortgegangen war, um ihm seine Erst-Tvinnr-Initiation zu erteilen. Ja, schön und gut, aber Hresh war ja angeblich drunten an der Pforte, um die

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