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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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ich!«
    »Aber du weißt doch Bescheid über die Altersgrenze, nicht wahr?«
    Hresh nickte feierlich mit dem Kopf. »Das ist, wenn du fünfunddreißig Jahre alt wirst, und dann mußt du hinaus! Ich hab die Knochen gesehen, als ich – draußen war, vor der Schleuse. Da war alles voller Knochen, überall verstreut. Und die sind alle gestorben, jeder, der dort rausgegangen ist. Aber das war doch im Langen Winter! Und der Lange Winter ist jetzt zu Ende…«
    »Vielleicht. Vielleicht ist es so.«
    »Ja, bist du denn nicht sicher, Thaggoran?«
    »Ich hatte gehofft, daß die Schimmersteine es mir sagen würden.«
    »Aber – dann hab ich dich ja wirklich gestört. Ich geh jetzt wohl besser.«
    Lächelnd sagte Thaggoran: »Bleib hier! Bleib eine kleine Weile. Noch bleibt mir ja die Zeit, die Schimmersteine um Rat und Antwort zu bitten.«
    »Und wenn wir dann aus dem Kokon herausgehen, gibt es dann auch noch die Altersgrenze?«
    Die scharfsinnige Frage des Kindes bestürzte den Chronisten. Nach einer Weile sagte er: »Ich weiß es nicht. Vielleicht nicht mehr. Das wäre dann ja ein – obsoleter Brauch, nicht wahr? Wir wären dann ja nicht länger an diesem kleinen Ort hier zusammengezwängt.«
    »Aber dann werden wir nicht sterben müssen! Niemals!«
    »Alles muß sterben, Hresh.«
    »Aber warum denn?«
    »Der Leib braucht sich auf. Seine Kraft versiegt. Du siehst doch, wie mein Fell weiß geworden ist? Wenn die Farbe verschwindet, dann heißt das, daß auch das Leben davongeht. Auch in mir drinnen verändert sich alles. Das ist in der Natur der Dinge, Hresh. Und alle Lebewesen machen diese Erfahrung durch. Dawinno hat uns den Tod bestimmt, auf daß wir am Ende unserer Mühen und Plagen Frieden – den Frieden fänden. Davor muß man sich doch nicht fürchten!«
    Hresh verdaute das eine Weile lang stumm.
     Dann aber sagte er: »Ich mag aber immer noch nicht gern sterben.«
    »In deinem Alter ist diese Vorstellung auch unerhört. Später wirst du Verständnis dafür aufbringen. Aber – versuche nicht jetzt schon, so etwas zu verstehen.«
    Wieder trat ein längeres Schweigen ein. Thaggoran sah, daß der Knabe auf das Kästchen starrte, das die Stammeschroniken enthielt; mehr als nur einmal hatte er dem Kind erlaubt, einen Blick da hineinzuwerfen, ja sogar die Aufzeichnungen zu berühren (was jeglichem Anstand und Brauch zuwiderlief). Der Knabe war so des Eifers voll; der Knabe war so schmeichlerisch-überzeugend… und es war ja doch wirklich weiter kein Schaden damit verbunden, wenn das Kind diese alten Bücher – betrachtete. Und mehr als nur einmal hatte Thaggoran sich bei dem Wunsche ertappt, Hresh möge doch früher geboren worden, älter sein, oder daß er selbst in einem späteren Lebensabschnitt in sein Chronistenamt berufen worden wäre; denn hier, in diesem Kind, hatte er den geborenen Historiographien und Chronisten vor sich, ganz ohne Zweifel… ein Kopf, wie er in jeder Generation bestenfalls einmal geboren wurde. Aber leider, leider, der Knabe war ja noch ein Kind, und Jahre trennten ihn von einer möglichen Nachfolge. Ich werde lang dahin sein, dachte Thaggoran, ehe dieses Kind ein Mann wird. Und doch… und trotzdem…
    »Du solltest jetzt aber machen, was du mit den Schimmersteinen machen mußt«, sagte Hresh schließlich.
    »Ja. Das – sollte ich wohl.«
    »Darf ich bleiben und dir zuschauen?«
    »Ein andermal, vielleicht«, sagte Thaggoran lächelnd und fuhr dem Jungen über den schlanken Arm, versetzte ihm einen fast unmerklichen Schubs und sandte ihn so aus der Kammer. Dann wandte er sich wieder aufmerksam den Schimmersteinen zu. Und wieder berührte er Vineir und dann Daralmir. Doch etwas war falsch. Fühlte sich nicht richtig an. Es war eine Disharmonie in der Einstimmung; das Leuchten und Flimmern, das sich für ein anständiges Orakel gehörte, blieb aus. Er blickte sich um – und da sah er Hresh, der um den Pfosten der Kammertür herumschielte. Thaggoran hustete – so gut es eben ging – das Lachen weg und sagte – so streng, wie er es eben zustandebrachte: »Verschwinde, Hresh! Zieh ab!«
    Im Schein einer spuckenden rußenden Talglampe erblickte Salaman vor sich die gewundenen, sich verzweigenden dunklen Höhlengänge. Ehrfürchtige Scheu durchlief ihn, als gleite eine Bergschlange in seinem Rückenmark nach oben. Er war zehn Jahre alt, fast schon elf, kurz vor der ersten Schwelle der Mannheit. Nie zuvor war er hier unten gewesen; eigentlich hatte er nie so recht an die Existenz dieser

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