Am Ende des Winters
hob. Nach ein paar Minuten gab sie es ganz auf. Sie kniete an ihrem kleinen Altar, die Ellbogen auf der Kante, den Kopf gesenkt, und sie betete um Seelenruhe.
»Er wartet dort auf dich«, sagte Boldirinthe leise hinter ihr.
Torlyri verschloß den Schrein mit den Heiligtümern und löschte die Kerze. Im Finstern hielt sie kurz inne, umarmte Boldirinthe zärtlich, gab ihr einen flüchtigen Kuß und flüsterte ihr Dank. Dann durchschritt sie den Gang und die Pforte, die auf den Tempelplatz führten, bog um das vieleckige Gebäude und ging auf Hreshs Lagerhaus zu.
Die Nacht war warm und mild, kein Lüftchen regte sich, hellgeränderte Streifenwolken überlagerten den Mond. Trotzdem fröstelte Torlyri. Sie spürte wie sich ihr Leib verkrampfte.
Trei Husathirn hielt ein einzelnes Glühbeerzweiglein in der Hand und lief in dem Schein wie ein Tier im Käfig in dem Lagerhaus auf und ab, als Torlyri eintrat. Er trug seinen Helm, und er erschien ihr größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie hatte ihn mehrere Tage lang nicht mehr getroffen; sie hatte einfach in der Siedlung zu viel Arbeit zu tun gehabt. Er stapfte umher, steckte hier und dort neugierig die Nase in die Sammlung von Gerätschaften und Apparaten, die Hresh und seine Sammler hier angehäuft hatten. Als er Torlyri kommen hörte, wirbelte er herum und warf wie zum Schutz die Arme hoch.
»Ich bin’s doch bloß«, sagte sie und lächelte.
Sie stürzten aufeinander zu. Seine Arme umfingen sie, und er preßte sie so fest an sich, daß er ihr fast die Luft aus den Lungen drückte. Sie fühlte seinen Körper beben und zucken. Nach einer Weile trennten sie sich. Sein Gesicht sah erschöpft und zugleich verkrampft aus.
»Was sind dies für Maschinen?« fragte er.
Achselzuckend sagte Torlyri: »Das müßtest du schon den Hresh fragen. Er hat sie überall in der ganzen Stadt gefunden. Es sind Sachen aus der Großen Welt.«
»Und sie funktionieren?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Und wenn ihr fortzieht, wird er sie mitnehmen?«
»So viele, wie er kann, wie ich unseren Hresh kenne.« Plötzlich überlegte sie sich, ob es vielleicht ein Fehler war, Trei Husathirn hier hereingelassen zu haben. Vielleicht durfte er diese Dinge gar nicht sehen. Gewiß, er war ihr Gefährte und Geliebter, so etwas wie ihr ehelicher Genosse, aber trotzdem blieb er ein Beng, und diese Dinge hier waren Stammesgeheimnisse.
Auch seine harte, eifrige Stimme beunruhigte sie. Er wirkte beinahe furchtsam.
Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest.
»Weißt du, wie ich mich nach dir gesehnt habe?« fragte sie.
»Du hättest zu mir kommen können!«
»Nein, nein. Das war unmöglich. Alles muß sorgfältig und richtig verpackt werden – Segen und Gebete müssen gesprochen werden –, eigentlich dauert das Wochen und Wochen. Ich sehe nicht, wie ich damit je rechtzeitig zu Ende kommen soll. Du hättest heute nacht nicht kommen sollen, Trei Husathirn.«
»Ich mußte aber mit dir sprechen.«
Das klang falsch. Er hätte sagen sollen: Ich habe dich sehen müssen, ich wollte dich sehen, ich habe es fern von dir nicht mehr ausgehalten… Aber er mußte mit ihr sprechen? Worüber?
Sie ließ seine Hand los und trat etwas zurück. Sie fühlte sich unsicher und unbehaglich.
»Was ist denn?« fragte sie.
Er antwortete zunächst nicht. Dann sagte er: »Hat sich am Tag des Auszugs irgend etwas geändert?«
»Nichts.«
»Also sind es nur noch ganz wenige Tage.«
»Ja«, sagte Torlyri.
»Was sollen wir denn tun?«
Sie wollte die Augen abwenden, doch sie zwang sich, ihn weiter fest anzublicken. »Was willst du tun, Trei Husathirn?«
»Du weißt doch, was ich will. Mit dir gehen.«
»Aber wie sollte das möglich sein?«
»Ja«, sagte er. »Wie sollte mir das möglich sein? Was weiß ich denn schon von euren Bräuchen, euren Göttern, eurer Sprache, von irgendwas? Alles was ich von eurem Volk kenne und weiß, bist du. Ich würde mich nie einfügen können.«
»Mit der Zeit vielleicht doch«, sagte sie.
»Glaubst du wirklich?«
Und nun wandte sie wirklich den Blick ab.
»Nein.« Sie brachte das kleine Wort kaum über die Lippen.
»Zu dem gleichen Schluß komme auch ich, nachdem ich mir das Problem tausendmal hin- und herüberlegt habe. In Koshmars Stamm ist kein Platz für mich. Immer würde ich der Außenseiter bleiben, der Fremde. Sogar der Feind.«
»Gewiß doch kein Feind.«
»Doch, für Koshmar und die anderen, glaube ich.« Plötzlich zerquetschte er die Glühbeerendolde in der
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