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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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in ihrer Macht gelegen hätte. Und das begreife ich nicht, Vater, ich kann es nicht verstehen! Wenn ich verstehen könnte, warum die Saphiräugigen ihre Vernichtung in scheinbarer Sorglosigkeit und so gleichmütig hinnahmen, dann könnte ich vielleicht auch sagen, warum wir ewiglich vorwärtsstreben müssen, auch wenn die Götter eines Tages alles vernichten werden, was wir aufgebaut haben.«
    Noum om Beng sagte: »Wie lautete noch der Name, den ihr eurem Gott gebt, welcher der Zerstörer ist?«
    Hresh blinzelte überrascht. »Dawinno.«
    »Dawinno. Nun, und was verstehst du unter Dawinno? Glaubst du, er ist ein böser Gott?«
    »Wie könnte ein Gott böse sein, Vater?«
    »Du hast deine eigene Frage beantwortet, Sohn.«
    Hresh fand nicht, daß er dies getan habe. Immer noch blinzelnd, hockte er da und wartete auf weitere Erleuchtung. Doch es ward ihm keine. Noum om Beng lächelte ihn freundlich und beinahe selbstgefällig an, als sei er sicher, Hresh die Lösung für alle seine drückenden Probleme an die Hand gegeben zu haben.
    Doch unter dem Lächeln war das Gesicht des alten Behelmten aschgrau vor Erschöpfung; und Hresh selbst spürte, daß seine Hirnkapazität bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit angespannt war. Er wagte es nicht, nach weiteren Erklärungen zu fragen. Nein, hier mach ich Schluß, sagte er sich. Schon jetzt hatte er sich dermaßen viel auf die Seele geladen, daß er Jahre brauchen würde, um dies alles zu begreifen. So schien es ihm jedenfalls.
    Er erhob sich, um zu gehen. »Ich sollte mich jetzt entfernen, Vater, und dich ruhen lassen.«
    »Ich werde dich nie wiedersehen«, sagte Noum om Beng.
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Wir haben eine gute Arbeit geleistet, wir beide, mein Sohn. Unser beider Denken fügte sich gut zusammen.«
    »Ja«, sagte Hresh. Noum om Bengs Stimme klang irgendwie so endgültig, daß Hresh sich fragte, wie lang dem alten Mann wohl noch an Lebenszeit beschieden sein mochte. Es strahlte von ihm ein derart starkes Todesbewußtsein und zugleich auch eine solch tiefe Ergebung darein aus, daß er so gelassen und gleichmütig wirkte wie irgendeiner von den Saphiräugigen, die gemächlich zuschauten, wie ihr Himmel vom Staubregen schwarz wurde, nachdem der Todesstern niedergefallen war. Und Hresh, der erst am selben Morgen Koshmar so ungeschminkt über ihren nahenden Tod hatte reden hören, fühlte sich ringsum von Sterben und Verfall und Tod umgeben. Wie machten sie das nur, daß sie es so gelassen hinnahmen, diese Sterbenden? Wie konnten sie nur so achselzuckend dem Nichts und dem Vergessensein entgegensehen?
    Unentschlossen bewegte sich Hresh auf die Tür zu.
     Eigentlich wollte er wirklich nicht so rasch Abschied nehmen, wußte aber, daß er es müsse.
    Noum om Beng sagte: »Gab es da nicht noch etwas anderes, warum du an diesem Morgen zu mir kamst? Doch wohl nicht nur, um mit mir zu diskutieren?«
    Yissou! Die Zinnobären!
    Hreshs Gesicht wurde dunkel vor Scham. »Ja. Doch. Da war noch etwas«, sagte er schleppend. »Koshmar bat mich – unser Häuptling – sie meinte, ob… also, ob wir vielleicht… ob es möglicherweise möglich wäre, daß ihr…«
    »Ja«, sagte Noum om Beng. »Wir haben dies vorausbedacht, daß ihr sie brauchen werdet. Es ist bereits geregelt. Vier Jung-Zinnobären sollen euch gehören, zwei männliche, zwei weibliche. Unser Abschiedsgeschenk. Trei Husathirn bringt sie euch in einer Stunde hinüber, und er wird deinen Leuten zeigen, wie man sie lenkt… und wie man sie züchtet. Das war dann doch alles, weswegen du kamst, nicht wahr, mein Sohn?«
    »Ja, Vater.«
    »Komm zu mir, Hresh!«
    Hresh trat wieder näher und kniete vor dem alten Behelmten nieder. Noum om Beng erhob seine Hand, wie wenn er ihm einen allerletzten Schlag verabreichen wollte; dann aber lächelte er, schwächte den Schwung seines Armes ab und strich Hresh mit der Hand sanft und zärtlich über die Wange. Es war eine unmißverständliche Geste tiefster Zuneigung und Liebe. Dann bedeutete er ihm mit einem kaum merklichen Kopfnicken, daß er nun gehen dürfe. Es fiel zwischen den beiden weiter kein Wort. Aber dann, an der Tür, blieb Hresh stehen, und seine Augen trafen auf die roten Augen des Noum om Beng, doch ihm schien es, daß Noum om Beng ihn schon lange nicht mehr sehe und auch nicht mehr wisse, wer Hresh sei.
     Als Hresh wieder in der Siedlung anlangte, war es bereits Mittag. Die Sonne schwebte in einem wolkenlosen Himmel. Hresh spürte, wie sich die Mittagsschwere

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