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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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lesen, von der Auslegung der Chroniken ganz zu schweigen. Wenn Hresh etwas zustieß, würde das Volk hilflos sein, aller Kenntnis der Vergangenheit beraubt sein und ohne Hoffnung auf Verständnis und Kunde des Künftigen.
    Nach einigem, als Koshmars Befürchtungen bezüglich der Gefahren in der Stadt sich ein wenig gelegt hatten, zog Hresh manchmal mit Orbin als Begleiter aus.
    Orbin war zwar nicht älter als er, aber er war stets größer und stabiler gewesen, und jetzt wuchs er dermaßen rasch, daß es so aussah, als werde er in wenigen Jahren ebenso gewaltig und stark sein wie Harruel selber. Und noch etwas später wählte Hresh sich Haniman als Gefährten und Leibwächter. Zur allgemeinen Verblüffung wuchs auch Haniman zu einem großen und starken und sogar einigermaßen beweglichen Jüngling heran. Er war nun dem Haniman, den Hresh im Kokon gekannt hatte, ganz und gar nicht mehr ähnlich, der so langsam und feist und tolpatschig und – wie es den Anschein hatte – aufreizend dumm gewesen war. Der Treck quer durch den Kontinent hatte ihn anscheinend verwandelt, oder aber, bedachte Hresh, es hat mehr in Haniman gesteckt von Anfang an, als ich zu erkennen bereit war.
    Es machte aber keinen Unterschied, mit wem er auszog – gleich ob Konya oder Staip, Orbin oder Haniman – oder in welcher Richtung er die Stadt durchforschte – nach Nord oder Süd, Ost oder West. Zu seiner beschämten Erbitterung vermochte er nämlich nichts zu entdecken, was von irgendwelchem denkbaren Nutzen gewesen wäre, höchstens gelegentlich ein verbeultes Stück Blech oder Scherben trüben Glases.
    »Du siehst so traurig aus«, sagte Taniane. »Es ist enttäuschend, nicht?«
    »Ach, da draußen gibt es massenhaft Sachen. Bald werde ich was finden.«
    »Ich bin sicher, daß du das tust.« Taniane schien sich stark für seine Explorationen zu interessieren. Er fragte sich, warum. Vielleicht hatte er auch sie unterschätzt. Sie war inzwischen größer als er und wuchs rasch weiter, und ihr Verstand schien sich zu dehnen und zu vertiefen und in alle Richtungen zu strecken. In ihren Augen lag ein ungewöhnlicher Ausdruck, ein seltsames forschendes Leuchten, das auf verborgene Kompliziertheit schließen ließ. Es war, als wäre ihre füllenhafte Mädchenhaftigkeit nur die Maskierung für etwas dunkler Fremdartiges. Eines Tages bat sie ihn, er möge ihr das Lesen beibringen, was ihn ziemlich überraschte. Also begann er sie zu unterrichten. Er gewann ein unerwartetes Vergnügen daraus, wenn er mit ihr an einen stillen Ort, fern von den anderen, sich zurückzog und ihr die Geheimnisse der geheiligten Kunst erläuterte. Dann jedoch kam einige Zeit später auch Haniman und bekundete Interesse am Lesenlernen, und das verdarb natürlich alles. Hresh konnte ihn schlecht zurückweisen, doch damit fanden auch die Stelldicheins mit Taniane ein Ende, denn er verfügte nicht über genug Zeit, um beiden Privatunterricht zu erteilen, und nach einiger Zeit kam er auf den Gedanken, daß Haniman ihn genau aus diesem Grund darum gebeten hatte.
    Das große Rund der Jahreszeiten drehte sich weiter. Den milden Regenwinter löste eine trockenere, heißere Zeit ab, und danach kam eine Zeit voll kühler Winde aus dem Osten und kündigte die Wiederkehr des Winters an. Unerschütterlich zog Hresh weiter suchend durch die Ruinenstadt. Durch eine staubige leere Haushülse nach der anderen stöberte er und fand nichts. Er kochte vor Ungeduld. Er fragte sich, ob er jemals irgend etwas Verwendbares finden werde.
    Allmählich sah es nämlich so aus, als sei Vengiboneeza vollkommen nutzlos.
    Aber was war dann mit den Weissagungen im Buch des Weges? Waren sie bloßer Lug und Trug? Und angenommen, er entdeckte niemals etwas in diesen Ruinen, wie es mehr und mehr den Anschein hatte? Bedeutete dies dann, daß die Schätze der Stadt wahrhaftig ausschließlich den wirklich Menschlichen vorbehalten bleiben sollten, wer immer und wo immer die sein mochten? Und daß also die Leute vom Volk in Wirklichkeit doch nichts anderes waren als arrogante aufmüpfige Affen, die sich zur Krone der Schöpfung hochstilisierten und in einen Rang erhoben, in dem sie nichts zu suchen hatten?
     Hresh kämpfte erbittert gegen diese niederschmetternde Schlußfolgerung an. Jedoch tauchte sie wieder und immer wieder aus den Tiefen seines Denkens herauf und quälte ihn.
    Er suchte immer weiter und immer ferner und ferner von der Niederlassung des Stammes. Inzwischen wanderte er oftmals zu weit, als daß

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