Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
einer ebenfalls toten Rasse erbaut.«
    Harruel sagte: »Sie haben uns Affen genannt. Ich weiß, was Affen sind. Ich hab die zwei erlegt, die dich im Dschungel angegriffen haben. Und beim Einzug in die Stadt tötete ich noch mehr. Ich wollte, ich hätte sie alle umgebracht, die dreckigen scheißeschmeißenden Tiere. Was sind die, diese Affen, die angeblich unsere Verwandten sind?«
    »Tiere«, sagte Hresh. »Nur Tiere.«
    »Und wir, sind wir auch nur Tiere?«
    »Wir sind menschliche Wesen«, sagte Hresh.
     
    * * *
    Hresh sagte solche Worte, als könne an ihrem Wahrheitsgehalt kein Zweifel bestehen. Doch in Wirklichkeit empfand er keine Gewißheit, sondern tapste nur verwirrt in einem dunklen Sumpf umher.
    Ein Menschlicher zu sein, dachte er, das war etwas Großes und Herrliches. Es hieß, Glied in einer endlosen aufsteigenden Kette zu sein, die von den urältesten Zeiten der Welt heraufreichte. Ein Affe zu sein – oder auch nur der Vetter eines Affen –, das war kaum besser als diese übelriechenden und schnatternden dummen Viecher, die an ihren Sensororganen von den Bäumen schaukelten – nein, verbesserte Hresh sich, von ihren Schwänzen – dort drüben am Stadtrand im Dschungel.
    Also, was sind wir, fragte Hresh sich, Menschen – oder Affen?
    Im Buch des Weges der Chroniken stand geschrieben, daß zum Winterende die Menschlichen aus ihren Verstecken herauskommen und zu dem zerstörten Vengiboneeza ziehen würden, wo ihnen die Dinge zuteil werden würden, die sie brauchten, um die Herrschaft über die ganze Welt zu erlangen. Dies jedenfalls las Hresh aus dem Text heraus; und er interpretierte es sich auch so, daß die Schriften das ‚Volk’, sein Volk, meinten, wenn im ‚Buch des Weges’ von den ‚Menschlichen’ die Rede war.
    Aber stimmte das auch? Die Chroniken waren nicht in den einfachen Worten alltäglicher Rede abgefaßt; sie setzten sich aus verkapselten Denkpaketen zusammen, zu denen der Leser durch seine Geisteskräfte Zugang erhält. Und darin eröffnete sich ein weites Feld für Fehlinterpretationen. Das, was von dem Pergamentblatt in seine Finger sprang und von seinen Fingern in seinen Verstand, wenn er im Buch des Weges studierte, war ein Konzept, das das ‚Volk’ zu meinen schien, also wohl Jene-für-die-das-Buch-geschrieben-ist. Jedoch konnte es ebenso leicht auch bedeuten Menschliche-die-anders-sind-als-das-Volk. Bei genauerem Studium erkannte Hresh, daß die einzige unstrittige Lesart jene war, die sagte, daß ‚Jene-die-sich-für-Menschliche-halten’ am Winterende nach Vengiboneeza kommen würden, um die Schätze der Stadt für sich zu fordern.
    Jedoch, es war möglich, sich für menschlich zu halten, auch ohne es wirklich zu sein!
    Die künstlichen Wächter der Saphiräugigen, sagte Hresh zu sich, erklären uns, wir seien Affen – oder doch Abkömmlinge von Affen. Koshmar erwidert erzürnt, wir seien Menschliche. Wer hat recht? Meint das Buch des Weges, daß wir nach Vengiboneeza kommen werden – oder irgendwelche geheimnisvollen sie?
    Alles übrige im Buch des Weges schien für das ‚Volk’ und zu seinem Nutzen geschrieben zu sein. Es war schließlich ihr Buch, von ihnen und für sie geschrieben. Also, wenn das Buch des Weges sagt ‚Menschliche’, dachte Hresh, dann muß es sich doch gewißlich auf uns beziehen. Aber sagt das Buch des Weges tatsächlich ‚Menschliche’, fragte sich Hresh. Oder war dies nur die Bedeutung, die das ‚Volk’ dem Wort unterlegt hat, weil es sich im Verlauf der Jahrhunderte angewöhnt hat, sich als menschlich zu betrachten, auch wenn dies tatsächlich nicht der Fall war?
    Er fand aus der Verwirrung nicht heraus.
    Er fragte sich: Aber spielt es wirklich eine Rolle, ob wir menschlich sind oder etwas anderes? Wir sind, was wir sind, und was wir sind, das ist keineswegs irgendwie niedrig oder verächtlich.
    Nein. Nein.
    Genauer als irgend jemand sonst wußte er, wie diese Affenwesen aus dem Dschungel waren. Er hatte ihnen direkt in die Augen geblickt und die Tierhaftigkeit dort gesehen. Um seinen Hals hatte sich ein kräftiger behaarter Schwanz geschlungen und ihn fast zu Tode gewürgt. Er hatte das Keckern und sinnlose Geschnatter gehört. Aus ganzer Seele verabscheute er sie, und aus ganzer Seele betete er, die Künstlichen möchten gelogen haben und zwischen seinem Volk und den Affen des Dschungels gebe es nicht einmal eine allerfernste Verwandtschaft.
    Fest redete er sich ein, daß er und sein Volk menschliche Wesen seien, genau wie Koshmar es

Weitere Kostenlose Bücher