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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Demut und Scham.
    Mit einem Schlag begriff er, was eine Zivilisation in Wahrheit sei: er verstand die maßlose ungebändigte wimmelnde Vielfalt, die Myriaden vielfältig verflochtener Interaktionen, den Austausch von Ideen, auch das Rangeln und Feilschen auf dem Marktplatz, verstand das Ränkeschmieden und Planen, die Konflikte, den Ehrgeiz und die Eigensucht, und er erfaßte das Wesentliche an einer großen Masse von Leuten, die gleichzeitig in unendlich viele persönlich ihnen wichtige Richtungen streben. Dies hier war so drastisch anders als das einzige soziale Leben, das er bislang gekannt hatte, das Leben im Kokon, das Leben des »Volks«, daß ihn eine tiefe ehrfürchtige Erschütterung überkam.
    Wir sind wirklich ein Nichts, dachte er. Wir sind nichts weiter als Kreaturen, die Jahrhundert über Jahrhundert versteckt und geschützt gelebt haben, die einen endlosen, sich ständig wiederholenden Kreislauf erbärmlich trivialer Aktivitäten abspulten, die nichts aufbauten, nichts veränderten, nichts schufen.
    Seine Augen brannten von den heißen Tränen. Er fühlte sich klein und erbärmlich, ein unbedeutendes Kürzel in einer Gruppe unwichtiger Kürzel, die sich von der eigenen Überheblichkeit verblenden ließen. Dann aber machte sein tiefer Gram auf einmal einem trotzigen Stolz Platz, und er dachte: Wir waren nur ganz wenige. Und wir lebten, wie wir es mußten, um zu überleben. Unser Kokon wuchs und gedieh, und wir bewahrten unsere Überlieferungen. Wir haben unser Bestes getan. O ja, wir haben das Beste daraus gemacht! Und als es an der Zeit zum Aufbruch war, zum Auszug aus der Isolation im Kokon, da sind wir fortgezogen, um die Welt in Besitz zu nehmen, die uns als Erbteil hinterlassen wurde; und wenn man uns nur ein bißchen Zeit gibt, dann werden wir diese Welt wieder groß machen.
    Dann rutschte die Vision fort, der bestürzende Augenblick war vorbei, und Hresh stand zitternd da, blinzelte mit den Augen, war verwirrt, aber noch immer lebendig.
    »Was ist denn passiert?« fragte Haniman. »Was hat das Ding gemacht?«
    Hresh wies ihn mit einer zornigen Geste ab. »Laß mich!«
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Ja. Ja, doch. Laß mich in Ruhe!«
    Er war stark benommen. Die Welt, in die er in dieser dumpfdunklen Höhle zurückgekehrt war, wirkte auf ihn nur wie ein verabscheuungswürdiges Trugbild, während eine andere Welt, die so hell, so lebendig war, die wahre Welt für sein Leben darstellte. So jedenfalls war es ihm vorgekommen, bis dann die Höhlenwelt wieder über ihn hereingebrochen war und die andere Welt seinem Zugriff entrissen und dahin war. Und in diesem Augenblick hätte er alles darum gegeben, hätte er sie wieder zurückholen können.
    Ihm kam der Verdacht, daß er wahrscheinlich nur ein winziges Bruchteil dessen erfahren habe, was diese Maschine ihm zu bieten hatte. In ihr erwachte die Große Welt erneut zum Leben! Hier verbarg sich der glimmende Zunder einer uralten Magie, hier schwelte ein Kraftfeld, das durch die drei Dutzende Türme hier herabgezogen und aufgebaut wurde, mitten durch das abnorme Statuengewirr hindurch, eine Kraft, die durch sein Gehirn getobt war und ihn durch die verflossenen Jahrhunderte hinweg und zurück getragen hatte in eine verlorene Welt der unfaßbaren Wunder. Und er würde diesen Sprung über die Äonen hinweg wiederholen können! Es war nichts weiter dazu erforderlich als eine Handberührung.
    Zum zweitenmal hielt er die Hände über die Schaltknöpfe.
    »Du, he, mach das nicht!« schrie Haniman. »Das bringt dich um!«
    Hresh verscheuchte ihn mit einer Handbewegung und packte die Hebel.
    Doch diesmal geschah – nichts. Er hätte ebensogut die eigenen Ellbogen festhalten können, was die Wirkung anging.
    Er tapste umher, berührte diesen Knopf, dann jenen, dann wieder einen anderen. Nichts. Nichts.
    Vielleicht hatte sich die Maschine leergebrannt, um ihm diesen einmaligen Blick ins Wunder zu ermöglichen.
    Oder aber dachte er, ich bin es, der ausgebrannt ist. Es könnte ja sein, daß sein Gehirn vom Anprall dieser Kraft dermaßen betäubt war, daß es nichts weiteres fürderhin aufnehmen konnte.
    Er trat zurück und betrachtete sich das ‚Ding’ eindringlich. Möglich, daß es eine gewisse Zeit brauchte, um die Energie wieder neu aufzubauen, nachdem es sie abgegeben hatte. Nein, er würde eine Weile warten und es ein wenig später noch einmal versuchen.
    Also hatten ihn auch die Künstlichen Wächter der Saphiräugigen am Tor nicht betrogen, als sie ihn

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