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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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zurück!«
    »Bald«, versprach er. »Ganz bestimmt.«
    Minbain blickte ihm nach: diesem massiven Riesenschatten, der sich übertrieben behutsam durch den Raum bewegte und zur Tür hinausschlich. Sie tastete mit der Hand an ihre Kehle. Er hatte sie schwerer verletzt, als sie ihn wissen lassen wollte. In seiner Raserei hatte er sie mit einem wildfuchtelnden Ellbogen getroffen, er hatte sie an beiden Schultern gepackt und sie gegen die Wand gerammt, und als er sich an ihrem Hals vergraben hatte, hätte er sie mit dem Gewicht seines schweren Schädels fast erstickt. Aber daran war natürlich der Wahn schuld, der wilde Alp. Es war nicht Harruels Tun. Minbain verstand sehr wohl, daß er ihr auf seine ungeschlachte Art zugetan sei.
    Und sie trug sein Kind im Leib. Das wußte sie mit völliger Gewißheit, und aus der Art, wie er soeben ihren Leib berührt hatte, erkannte sie, daß auch er es wissen müsse. Bald würden sie zu Torlyri gehen müssen, damit diese die Ersten Worte über Minbains Bauch spreche.
    Hresh würde einen Bruder bekommen. Sie würde einen zweiten Sohn gebären. Sie war ganz sicher, daß es ein Sohn sein werde; aus Harruels Samen konnten ja nur Söhne sprießen, soviel immerhin schien ja wohl klar zu sein. Und damit würde sie selber die erste Frau seit Tausenden von Jahren sein, die zwei Söhne zur Welt brachte. Aber wird der neue Sohn in irgendeiner Weise so sein wie Hresh, überlegte sie sich.
    Nein! Nie wieder würde es ein Kind geben wie den Hresh. Ihr Hresh war einzigartig. Auch hatte sie nie so einen wie Harruel gekannt. Sie liebte ihn, und sie fürchtete sich vor ihm, und an manchen Tagen hatte die Liebe die Oberhand, und an anderen Tagen war wieder die Furcht stärker, und dann gab es auch Zeiten, in denen beides sich gleichmäßig mischte. Er war dermaßen sonderbar. Die Götter hatten ihr in ihrem Sohn einen Fremdling in den Schoß gelegt, und nun lag auch dieser fremde Mann als Bettgefährte bei ihr. Wie konnte das denn geschehen? Harruel war dermaßen wuchtig und gewaltig, er war so stark, er übertraf alle die anderen so sehr an Kraft – doch, ja, gewiß, in seiner Kraft war er außergewöhnlich. Er besaß die Wucht eines herabstürzenden Berges. Aber da war noch etwas anderes. Es gab in seiner Seele einen düsteren Bereich. Und es nagte an ihm ein grämlicher Zorn. Als sie allesamt noch im Kokon gehaust hatten, war Minbain das nie aufgefallen, doch sobald sie auf Wanderung waren, wurde es unübersehbar. Tag und Nacht verdüsterte ihm eine Unruhe das Herz und trieb ihn um. Er lechzte nach etwas – aber wonach? Wonach?
    Harruel wanderte eine Straße hinunter und dann durch eine andere wieder zurück; er hatte keine Ahnung, wohin er ging, und es kümmerte ihn auch nicht. Er spürte das scharfe kalte Licht des Mondes auf sich wie eine Peitsche, die ihn vorantrieb. Er hatte Minbain versprochen, er werde zurückkommen, und das wollte er auch. Aber nicht vor dem Morgengrauen. Er hätte doch keinen Schlaf finden können.
    Diese Stadt war ein Kerker für ihn. Das Leben im kasernierten Kokon hatte er ziemlich unproblematisch gefunden und ertragen, weil ihm nie in den Sinn kam, daß es etwas anderes als dieses Leben geben könne. Jetzt aber, nachdem sie die Enge des Kokons abgeschüttelt hatten und er begreifen gelernt hatte, was es bedeutete, kühn und ungehindert unter dem freien Himmel zu schreiten, wurmte es ihn, daß er hier an diesem glattgeschniegelten Totenort festsitzen sollte, an dem es für seine Nase allzu stark nach dem vernichteten Volk der Saphiräugigen stank. Außerdem ließ es ihm die Galle schwellen und brannte ihm wie eine Feuerklette auf der bloßen Haut, daß er bis ans Ende seiner Lebenstage unter der Herrschaft dieses Weibes, dieser Koshmar, würde leben müssen.
    Es war wirklich an der Zeit, daß die Weiberherrschaft beendet werde. Es war höchste Zeit, die Macht der Mannskönige neu zu errichten.
    Aber leider, so schien es Harruel, würde diese Koshmar Häuptling sein und bleiben, bis er selbst alt und krumm und sein Fell ganz weiß waren. Denn es gab ja jetzt keine ‚Todestage’ mehr. Koshmar war älter als er, aber sie war leider gesund und kräftig, und sie würde bestimmt noch sehr lange leben. Und nichts und niemand würde ihn je von diesem lästigen Weib in seinem Nacken befreien, es sei denn, er täte es höchstselbst mit eignen Händen; und an diesem Punkt setzte Harruel die Grenze. Es lag außerhalb seiner Möglichkeiten, jemals seinen legitimen Führer zu

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