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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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bereitwillig.
    Und Genera Osborne spürte, wie ihr Leben eine neue Richtung einschlug. Obwohl es ihr ganz und gar nicht gefiel, spürte sie es so deutlich, dass sie es nicht harmloser umschreiben konnte. Sie fühlte so etwas wie einen Haarriss in ihrem Herzen und dass ihr Geist niederzutaumeln drohte. Rauchen, Tanzen, Aufreißen, Vögeln: All das musste warten. Ihr Griff um den Telefonhörer erschlaffte, und sie wandte sich zum nachtschwarzen Fenster um. Sie lehnte die Stirn dagegen und spürte den Druck von kaltem, glattem Glas auf der Haut. Sie sprach nicht zu Cordie oder den Jungen, sondern zu sich selbst: »Du lieber Gott.« Es war kein Gebet.
    Die folgenden Tage waren nicht einfach, und die Gründe dafür entzogen sich Kendras Kontrolle. Die Invasion ihrer jungen Verwandten hatte ihr ohnehin schon kompliziertes Leben vollends durcheinandergebracht. Allein die Grundversorgung - Mahlzeiten, saubere Kleidung und genügend Toilettenpapier - bereiteteihr Schwierigkeiten, doch noch schlimmer als alles andere war Ness.
    Kendras Erfahrung im Umgang mit fünfzehnjährigen Mädchen beschränkte sich darauf, dass sie selbst einmal eines gewesen war - ein Umstand, der eine Frau nicht unbedingt dafür qualifizierte, mit einer anderen in der schlimmsten Phase der Pubertät fertig zu werden. Und Ness' Pubertät - schwierig genug mit all den Herausforderungen, denen eine heranwachsende junge Frau sich stellen musste, angefangen von Gruppenzwang bis hin zu hässlichen Pickeln am Kinn - war bislang weitaus steiniger gewesen, als Genera ahnte.
    An dem Tag, als Glory Campbell die Kinder auf der Fußmatte ihrer Tochter abgeladen hatte, war Ness selbst um Mitternacht noch nicht zurück gewesen. Genera hatte sich auf die Suche nach ihr gemacht; schließlich kannten die Campbell-Kinder dieses Viertel nicht gut genug, um sich herumzutreiben - erst recht nicht nachts. Nicht nur konnten sie sich im Gewirr der Hochhauslabyrinthe verirren, deren fragwürdige Bewohner noch fragwürdigeren Aktivitäten nachgingen. Als junge Frau allein auf der Straße war Ness überdies schlicht und ergreifend gefährdet. Genera selbst fühlte sich nie unsicher, aber das lag daran, dass sie stets zügig ging und grimmig dreinschaute, was ihr schon bei so mancher nächtlichen Zufallsbegegnung gute Dienste erwiesen hatte.
    Nachdem Joel und Toby sich auf dem Fußboden im Massagezimmer schlafen gelegt hatten, machte sie sich mit dem Auto auf die Suche - ohne Erfolg. Sie fuhr nach Süden bis Notting Hill Gate, nach Norden bis zur Kilburn Lane. Je später es wurde, umso zahlreicher wurden die umherziehenden Straßengangs - Männer und Jungen, die wie Fledermäuse bei Dunkelheit hervorkamen, um zu sehen, was das Viertel ihnen darbot.
    Schließlich hielt sie an der Polizeiwache Harrow Road, einem beeindruckenden viktorianischen Backsteinbau, der alle umstehenden Gebäude überragte, als wolle er verkünden, dass er noch lange hier zu stehen gedenke. Sie sprach die diensthabende
    Beamtin an - eine wichtigtuerische, weiße Polizistin vom Rang eines Constables, die sich alle Zeit der Welt ließ, ehe sie von ihrem Papierkram aufschaute. Nein, lautete die Antwort, es seien heute keine fünfzehnjährigen Mädchen auf die Wache gebracht worden ... Madam. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Genera vielleicht gespürt, wie die Haare auf ihren Armen sich auf die kleine Verzögerung zwischen »worden« und »Madam« hin aufrichteten. Doch an diesem Abend war Geringschätzung ihre geringste Sorge, und so ließ sie es auf sich beruhen und fuhr eine letzte Runde durch die nähere Umgebung. Doch von Ness keine Spur.
    Das Mädchen ließ sich die ganze Nacht nicht blicken. Erst gegen neun am nächsten Morgen klopfte sie an Kendras Tür.
    Auf die Frage, wo in aller Welt Vanessa die ganze Nacht gewesen sei, ihre Tante sei ganz krank vor Sorge gewesen, antwortete Ness, sie habe sich verlaufen, und nachdem sie eine Weile herumgeirrt sei, habe sie ein unverschlossenes Gemeindehaus drüben im Wornington Estate gefunden. Dort habe sie Schutz gesucht und sei schließlich eingeschlafen. »Sorry«, schloss sie und trat zur Kaffeemaschine, wo das abgestandene Gebräu vom Vorabend noch immer nicht durch frischen Morgenkaffee ersetzt worden war. Sie schenkte sich eine Tasse ein und entdeckte die Benson & Hedges ihrer Tante auf dem Tisch, wo Joel und Toby vor zwei Schalen mit Frühstücksflocken saßen, die sich Genera hastig von einer Nachbarin geborgt hatte. »Kann ich 'ne Kippe, Tante Ken?«,

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