Am Ende war die Tat
zehn Tage. In dieser Zeit blieben sie zu Hause, während Genera selbst zur Arbeit ging. Ness hatte die Aufsicht, und die einzige Unterhaltung war das Fernsehen. Ness hatte strengste Auflagen, im Haus zu bleiben, und soweit Genera es beurteilen konnte, befolgte sie diese auch. Sie war daheim, wenn ihre Tante morgens zur Arbeit ging und wenn sie am späten Nachmittag heimkehrte. Die Tatsache, dass Ness die dazwischenliegenden Stunden des Tages durch Abwesenheit glänzte, blieb Genera verborgen, und die Jungen hielten dicht. Joel sagte nichts, weil er wusste, welche Folgen es für ihn haben würde, wenn er seine Schwester verpfiff. Toby sagte nichts, weil es ihm nicht auffiel. Solange der Fernseher lief, konnte er sich nach Sosi zurückziehen.
Auf diese Art und Weise hatte Ness zehn Tage Zeit, sich mit dem Leben in North Kensington vertraut zu machen, was ihr keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Six und Natasha waren notorische Schulschwänzer und nur zu gern bereit, Ness in die neue Umgebung einzuführen: Sie zeigten ihr den kürzesten Weg hinunter zum Queensway, wo sie bei Whiteley's herumlungern konnten, bis man sie wegjagte, und die besten Stellen, wo sie Kerle anquatschen konnten. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, besorgten sie ihr Stoff, der ihr Leben glücklicher machen sollte. Damit war Ness jedoch vorsichtig. Sie wusste, es war klug, ihre fünf Sinne beisammenzuhaben, spätestens wenn ihre Tante von der Arbeit nach Hause kam.
Joel beobachtete all dies und hätte gerne etwas dazu gesagt. Aber er war zwischen widerstreitenden Loyalitäten gefangen: einerseits seiner Schwester gegenüber, die er kaum noch erkannte, geschweige denn verstehen konnte, andererseits seiner Tante gegenüber, die sie bei sich aufgenommen hatte, statt sie irgendwohin abzuschieben. Also schwieg er und sah Ness - die immer peinlich genau darauf achtete, sich zu waschen, auch das Haar und notfalls die Kleider, bevor Genera nach Hause kam - kommen und gehen, und er wartete auf das, was unweigerlich kommen musste.
Was allerdings zuerst kam, war Holland Park, die dritte Gesamtschule, die Genera auf der Suche nach einem Platz für Joel und Ness kontaktiert hatte. Wenn es ihr nicht gelänge, sie in einer Schule in der Nähe unterzubringen, würden sie jeden Tag nach East Acton zurückfahren müssen, was Genera weder für die Kinder noch für sich selbst wünschte. Sie hatte es zuerst bei einer katholischen Schule versucht, weil sie hoffte, dass ein religiöses und, wie sie annahm, diszipliniertes Umfeld genau das Richtige war, um Ness auf den rechten Pfad zurückzuführen. Doch dort gab es keine freien Plätze. Also hatte sie es als Nächstes bei einer anglikanischen Schule versucht, wo sie jedoch die gleiche Antwort erhielt. Als Drittes probierte sie die Holland Park School, und dort hatte sie schließlich Erfolg. Es gab gleich mehrere freie Plätze, und die Kinder mussten lediglich die Aufnahmetests bestehen - und Schuluniformen besorgen.
Joel in die mittel- und dunkelgrau gehaltene Schulmontur zu stecken, war nicht weiter schwierig. Ness hingegen war nicht so kooperativ. Sie hatte nicht die Absicht, »in so Scheißklamotten rumzulaufen«. Genera wies sie ob der Formulierung zurecht, stellte für die Zukunft ein Bußgeld von fünfzig Pence für jede linguistische Entgleisung in Aussicht und erwiderte, dass Ness diese Uniform sehr wohl tragen werde.
Es hätte der Auftakt zu einem Kräftemessen sein können, aber Ness gab nach. Genera gestattete sich, erfreut zu sein, und war naiv genug zu glauben, sie habe diese Runde für sich entschieden. Sie konnte ja nicht ahnen, dass Ness nicht die Absicht hatte, für Geld oder gute Worte überhaupt zur Holland Park School zu gehen, und dass es ihr vollkommen gleich sein konnte, ob ihre Tante nun eine Uniform für sie kaufte oder nicht.
Nachdem Joel und Ness also untergebracht waren, blieb noch Toby zu versorgen. Wo immer er auch zur Schule ging, es musste irgendwo auf dem Weg zu der Bushaltestelle sein, von wo aus Ness und Joel nach Holland Park fuhren. Obwohl keiner von ihnen es offen aussprach, wussten sie doch alle, dassman Toby nicht allein zur Schule gehen lassen konnte, und Genera würde ihrem eigenen Massagesalon - dessen Planung ohnehin auf Eis lag, seit sie die Jungen auf ihrer Türschwelle vorgefunden hatte - niemals auch nur einen Schritt näher kommen, wenn sie gleichzeitig ihren Job im AIDS-Laden behielt und Toby zu Fuß oder mit dem Auto zur Schule fahren und wieder
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