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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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der Plastiktüten, trat zurück und atmete tief durch. Es war ihr nicht gerade recht, die Kinder hier allein zurückzulassen, aber sie wusste, Genera würde bald nach Hause kommen. Sie hatte sie zwar nicht angerufen, aber Glory wusste: Abgesehen von ihrem Männerproblem war Ken-dra ein Muster an Verantwortungsbewusstsein. Sie hatte einen Job und ließ sich gerade zu einem weiteren umschulen, um nach ihrer gescheiterten letzten Ehe wieder auf die Füße zu kommen. Was sie wollte, war ein richtiger Beruf. Völlig ausgeschlossen, dass Genera sich einfach so verdrückt hatte. Sie würde bald zurück sein. Es war schließlich bereits Zeit fürs Abendessen.
    »Rührt euch nich' hier weg, klar«, trug Glory ihren Enkeln auf. »Und gebt euerm Tantchen 'n dicken Kuss von mir.«
    Mit diesen Worten wandte sie sich um. Ness versperrte ihr den Weg. Glory versuchte ein freundliches Lächeln. »Ich lass euch nachkommen, Liebes«, versicherte sie. »Du glaubs' mir zwar nich', das merk ich. Aber ich schwör bei Gott, Ness, ich lass euch nachkomm'. Ich und George suchen ein Haus, in dem wir alle wohnen könn', und wenn das fertig is' ...«
    Ness machte auf dem Absatz kehrt und ging - nicht in Richtung Elkstone Road, wohin Glorys Weg führte, sondern in die entgegengesetzte Richtung, vorbei an dem Pfad, der hinter der Häuserreihe verschwand, und weiter nach Meanwhile Gardens und allem, was dahinter liegen mochte.
    Glory sah ihr nach. Ness' Gang hatte etwas Gestelztes, und die Absätze ihrer Stiefel knallten wie Peitschenschläge in der kalten Luft. Und wie Peitschenschläge traf der Laut Glorys Gesicht. Sie hatte den Kindern nie Unrecht zufügen wollen. Auf manche Dinge hatte man einfach keinen Einfluss.
    Sie rief Ness nach: »Soll ich George was von dir ausrichten? Er richtet ein Haus für dich ein, Nessa.«
    Ness' Schritte beschleunigten sich. Sie stolperte über eine Unebenheit im Gehweg, fiel aber nicht hin. Im nächsten Moment war sie um die Ecke verschwunden, und Glory lauschte vergeblich auf eine Antwort. Sie gierte nach etwas, was sie beruhigte und ihr bewies, dass sie nicht versagt hatte.
    »Nessa? Vanessa Campbell?«, rief sie noch einmal.
    Die einzige Antwort war ein gequälter Schluchzer, und Glory spürte, wie es ihr das Herz zerriss. Sie suchte bei den zwei Jungen, was deren Schwester ihr verweigert hatte.
    »Ich hol euch nach«, sagte sie. »Ich und George, wenn wirdas Haus fertig haben, bitten wir Tante Ken, alles in die Wege zu leiten. Ja-mai-ka.« Sie sang das Wort. Ja-mai-ka.
    Toby rückte noch näher zu Joel. Joel nickte.
    »Ihr glaubt mir doch?«, fragte ihre Großmutter.
    Joel nickte wieder. Er wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen.
    Die Straßenlaternen gingen bereits an, als Ness das niedrige Ziegelgebäude am Rand von Meanwhile Gardens umrundete - eine Kindertagesstätte, um diese Zeit allerdings unbesucht, und als Ness einen Blick durchs Fenster warf, sah sie eine ältere Frau, die offenbar gerade dabei war, Feierabend zu machen. Hinter dem Gebäude breitete sich der Park aus wie ein Fächer. Ein Pfad schlängelte sich zwischen baumbestandenen Hügeln hindurch und führte zu einer Treppe. Diese Treppe schraubte sich in einer stählernen Spirale zu einer Brücke empor, die wiederum den Paddington-Arm des Grand Union Canal überspannte. Der Kanal bildete die nördliche Begrenzung von Meanwhile Gardens, trennte Edenham Estate von einem Sammelsurium von Bauwerken - moderne, schicke Mehrfamilienhäuser, Seite an Seite mit alten Mietskasernen, die daran erinnerten, dass ein Leben am Wasser nicht seit jeher als besonders erstrebenswert gegolten hatte.
    Ness nahm einen Teil all dessen wahr, aber nicht alles. Sie steuerte auf die Treppe zu, die Brücke mit dem Eisengeländer und die Straße, die hinter dieser Brücke lag.
    Innerlich brannte sie - so schlimm, dass ihr danach war, ihre Jacke zu Boden zu werfen und darauf herumzutrampeln. Aber trotz der Hitze in ihrem Innern war sie sich der Januarkälte be- wusst, spürte sie dort, wo ihre Haut nackt war. Und sie fühlte sich unentrinnbar gefangen zwischen der innerlichen Hitze und der äußerlichen Kälte.
    Sie erreichte die Treppe, ohne das Augenpaar zu bemerken, das sie aus dem Schatten einer jungen Eiche auf einem der Hügel in Meanwhile Gardens beobachtete. Ebenso wenig war sie sich des zweiten Augenpaares bewusst, das ihre Schritte überden Grand Union Canal von unterhalb der Brücke verfolgte. Sie wusste nicht, dass nach Einbruch der Dunkelheit - und

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