Am Ende zählt nur das Leben
heißen
Während sie sich über dich schon ihre Mäuler zerreißen
Lass die Leute reden und hör ihnen nicht zu
Die meisten Leute haben ja nichts Besseres zu tun
Lass die Leute reden bei Tag und auch bei Nacht
Lass die Leute reden, das hab’n die immer schon gemacht. [ 2 ]
Während ich sang, hatte ich Bilder vor Augen, die zu meinem Leben passten. Manchmal bekam ich Herzklopfen, weil ich wusste, dass auch über mich schlecht geredet wurde. Die Stadt war klein und überschaubar. Vielen Begegnungen konnte ich auf Dauer nicht ausweichen. Und vor manchen hatte ich regelrecht Angst. Beim Gedanken an Cays Mutter verkrampfte sich mein Magen jedes Mal. Ich fürchtete mich davor, ihr zufällig auf der Straße zu begegnen und ihr nicht gewachsen zu sein. Bisher war dies noch nicht geschehen, aber das war wohl nur eine Frage der Zeit. Irgendwann lief man sich zwangsläufig über den Weg. Das Lied gab mir Mut. Wenn ich es hörte, ging es mir besser.
Beim Zuhören versank ich in Gedanken und malte mir aus, was ich wohl in der kommenden Sitzung mit meiner Therapeutin besprechen würde. Manchmal bereitete ich während der Autofahrt Fragen vor oder dachte an das letzte Gespräch mit Frau Precht. Ich fuhr gern zu ihr. Und das seltsame Gefühl beim Anblick der Psychiatriepatienten des Krankenhauses war längst verflogen.
»Frau B., was beschäftigt Sie heute?«, fragte meine Therapeutin mich meist zu Beginn der Sitzung, wenn ich ihr gegenüber Platz genommen hatte.
»Meine frühere Schwiegermutter«, sagte ich und spürte im nächsten Moment eine Mischung aus Wut, Verzweiflung und Traurigkeit in mir aufsteigen. Wie gern würde ich dieses Thema abschließen und endlich vergessen können. Wenn ich an sie erinnert wurde oder jemand von ihr gesprochen hatte, konnte es Tage dauern, bis ich mich beruhigt hatte.
Meine Angst ging so weit, dass ich mich manchmal kaum traute, in die Stadt zu gehen, weil ich befürchtete, dieser Frau dort zu begegnen.
Hört es denn nie auf?, fragte ich mich dann. Manchmal raubten mir diese Gedanken den Schlaf und die dringend benötigte Ruhe, um wieder ein gesunder Mensch zu werden.
Meine Therapeutin maß dem Thema einen hohen Stellenwert zu. Sie versuchte mich innerlich auf eine Begegnung mit Cays Eltern vorzubereiten. Wir lebten nicht weit voneinander entfernt. Es war jederzeit möglich, dass sie mir über den Weg liefen. Vor einem Treffen mit Johnny hatte ich kaum Bedenken, aber bei einer Begegnung mit Cays Mutter würden alle Erinnerungen an die Oberfläche gespült. So schnell konnte ich sicher nicht zum Hilfsmittel Tresor greifen, um mit den traumatischen Erinnerungen fertig zu werden. Erneut wurde mir klar, wie labil ich war. Doch ich wollte nicht aufgeben, sondern wollte in naher Zukunft auch darauf vorbereitet sein. Seltsamerweise konnte ich mir Hannah kaum als trauernde Mutter vorstellen. Ihr Verhalten, ihr Denken und ihr Fühlen waren mir stets fremd geblieben.
Einerseits war ich froh, was ich in der Therapie schon erreicht hatte. Nun erkannte ich, dass es wirklich noch zahlreiche Themen mit Frau Precht zu bearbeiten gab. Noch war ich weit davon entfernt, als gestärkte Frau mit den Widrigkeiten des Lebens umgehen zu können. Ob es jemals so weit kommen würde, bezweifelte ich regelmäßig. Eines hatte Hannah mir mit ihren Briefen gezeigt: Meine Schuldgefühle, meine Wut, meine Ängste und meine Trauer nahmen in meinem Denken, Handeln und Fühlen noch immer weit mehr Raum ein als Hoffnung und Zukunftsglaube.
Auf der Rückfahrt von meinen Therapiestunden fühlte ich mich meistens wie aufgetankt und war voller Energie. In letzter Zeit legte ich gern eine CD von Unheilig in den Player ein. Mein neuestes Lieblingsliedhieß Geboren, um zu leben, und es sprach mir aus der Seele.
Es tut noch weh, wieder neuen Platz zu schaffen
Mit gutem Gefühl etwas Neues zuzulassen
In diesem Augenblick bist du mir wieder nah
Wie an jedem so geliebten vergangenen Tag
Es ist mein Wunsch, wieder Träume zu erlauben
Ohne Reue nach vorn in eine Zukunft zu schauen
Ich sehe einen Sinn, seitdem du nicht mehr bist
Denn du hast mir gezeigt, wie wertvoll mein Leben ist
Wir waren geboren, um zu leben mit den Wundern jeder Zeit
Sich niemals zu vergessen bis in alle Ewigkeit.
Wir waren geboren, um zu leben
Für den einen Augenblick, weil jeder von uns spürte, wie * WERTVOLL * Leben ist. [ 3 ]
Befreit und entspannt stieg ich aus dem Auto und freute mich auf einen Abend mit Robert. Die Therapie tat mir unendlich gut, und
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