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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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Sichern Sie die Planquadrate, mobilisieren Sie unsere Männer und holen Sie, wenn nötig, Hilfe aus dem Dorf.«
    »Es ist kein Regen«, erwiderte der Teamchef resigniert, »und wir können nichts tun. Die Dorfbewohner flüchten schon.«
    Ein gewaltiger Sandsturm, vorangetrieben vom Shamal, kam auf sie zu. Unter normalen Umständen weht dieser mächtige Wind, der die Wüste von Saudi-Arabien durchquert, in Richtung Golf von Oman, weiter im Osten, doch es waren keine normalen Zeiten, und der zerstörerische Orkan war nach Westen abgedreht. Als er Keiras verängstigte Miene sah, fuhr der Teamchef mit seinen Erklärungen fort:
    »Ich habe soeben die Warnung über Funk gehört. Der Sturm ist bereits über Eritrea hinweggefegt, hat die Grenze überschritten und steuert direkt auf uns zu. Nichts kann ihn aufhalten. Uns bleibt nichts anderes, als auf die Hügel zu fliehen und weiter oben Schutz in den Höhlen zu suchen.«
    Keira protestierte, man konnte doch die Ausgrabungsstätte nicht einfach so zurücklassen.
    » Mademoiselle Keira, diese Knochen, die uns so am Herzen
liegen, sind hier seit Jahrtausenden verscharrt. Wir graben erneut, das verspreche ich Ihnen, doch dafür müssen wir am Leben sein. Beeilen Sie sich, uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
    »Wo ist Harry?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte der Teamchef und blickte sich um. »Ich habe ihn heute Morgen noch nicht gesehen.«
    »Hat er Ihnen nicht Bescheid gegeben?«
    »Nein, ich sagte Ihnen doch schon, ich habe die Nachricht über Funk gehört, die Anordnung zur Evakuierung erteilt und bin auf direktem Weg hergekommen, um Sie zu holen.«
    Inzwischen war der Horizont schwarz. Wie eine riesige Welle zwischen Himmel und Erde wälzte sich die nur noch wenige Kilometer entfernte Staubwolke auf sie zu. Keira ließ ihren Kaffeebecher fallen und rannte los. Sie verließ den Pfad und lief den Hang hinab zum Fluss. Es war fast unmöglich, die Augen offen zu halten. Der vom Wind aufgewirbelte Staub peitschte ihr ins Gesicht, und jedes Mal, wenn sie Harrys Namen schrie, schluckte sie Sand und glaubte zu ersticken. Doch davon ließ sie sich nicht aufhalten. Hinter dem immer dichteren grauen Schleier vermochte sie, das Zelt auszumachen, in dem der Junge sie jeden Morgen weckte, um mit ihr den Sonnenaufgang hoch oben auf dem Hügel zu bewundern.
    Sie riss den Stoff beiseite; ihre Jurte war leer. Das ganze Lager wirkte jetzt wie eine Geisterstadt, weit und breit keine Menschenseele. In der Ferne erkannte man noch vage die Dorfbewohner, die den Hang erklommen, um zu den Grotten weiter oben zu gelangen. Keira inspizierte die Nachbarzelte und schrie dabei unentwegt den Namen des Jungen, erhielt als Antwort aber nichts als das Grollen des Sturms. Der Teamchef, der ihr gefolgt war, packte sie beim Arm und zog sie fast gewaltsam mit sich. Keira blickte den Hang hinauf.
    »Zu spät!«, schrie er durch das Tuch hindurch, das sein Gesicht
bedeckte. Er nahm Keira bei der Schulter und schob sie zum Flussufer.
    »Rennen Sie, Herrgott noch mal! Rennen Sie!«
    »Harry!«
    »Er hat sicher irgendwo einen Unterschlupf gefunden. Seien Sie still und halten Sie sich an mir fest.«
    Die Welle von Staub und Sand verfolgte sie, kam immer näher. Stromabwärts schlängelte sich der Fluss zwischen zwei Felswänden hindurch. Der Teamchef entdeckte eine Öffnung darin und zog Keira eilig hinein.
    »Hier!«, sagte er und stieß sie bis ans Ende.
    Das war knapp gewesen. Die rollende Woge, die Erde, Steine und ausgerissene Pflanzen mit sich trug, wälzte sich an ihrer Notunterkunft vorbei. Keira und ihr Teamchef kauerten am Boden. Die Grotte war jetzt in völliges Dunkel getaucht. Das Tosen des Sturms war ohrenbetäubend. Die Wände begannen zu zittern, und beide fragten sich, ob alles zusammenbrechen und sie für immer unter den Trümmern begraben würde.
    »Vielleicht findet man unsere Gerippe in zehn Millionen Jahren - mein Ellbogen an Ihrem Schulterblatt, mein Schlüsselbein an Ihrem Schenkel. Die Paläontologen werden erklären, wir wären ein Bauernpaar gewesen oder Sie ein Flussfischer und ich seine Frau, die hier beerdigt wurden. Die Tatsache, dass in unserem Grab jede Spur von Opfergaben fehlt, wird zur Folge haben, dass man uns als bedeutungslos einstuft und in die Kategorie ›Skelette von Schmocks‹ verweist. Und so werden wir den Rest der Ewigkeit in einer Pappschachtel in den Regalen irgendeines Museums verbringen!«
    »Das ist wirklich nicht der rechte Moment, um Witze zu reißen, zumal sie nicht

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