Am Fluss des Schicksals Roman
beibringen?«, fragte die sichtlich begeisterte Mary.
»Ja, sicher. Sobald der Fisch gar ist, bringe ich ihn an Bord.«
Es wurde rasch dunkel. Mary hielt sich an der Reling fest und ließ den Blick über den Fluss schweifen. Ohne das Glitzern der Sonne auf der Wasseroberfläche wirkte er düster und unheimlich, aber sie würde sich schon daran gewöhnen. Aus dem Schilf am Uferrand vernahm sie das Zirpen vonGrillen, und am pechschwarzen Himmel stieg ein silbern glänzender Mond empor. Der Schein von Neds Feuerstelle erleuchtete sein bescheidenes Lager; dahinter bildeten die Bäume eine undurchdringliche Mauer der Finsternis. An Bord zündete Joe gerade Öllaternen an.
»Hier ist es so friedlich«, sagte Mary, glücklich darüber, das Leben auf den Goldfeldern, auf denen sie die Nächte stets gefürchtet hatte, hinter sich gelassen zu haben. Nur der Traum von einem zukünftigen Leben auf ihrem eigenen Schiff und der Beschaulichkeit des Flusses hatten sie durchhalten lassen. Joe legte ihr die Arme um die Taille. »Ja, hier ist es wundervoll friedlich, nicht wahr?« Er war ein wenig abgelenkt, da er zu Ned am Flussufer hinüberspähte, der gerade mit der Fischpfanne zum Schiff kam. Selbst im Schein des Lagerfeuers konnte Joe erkennen, dass Neds Humpeln sich verschlimmert hatte. Er fragte sich, ob Ned irgendeine alte Verletzung zu schaffen machte, wenn er sich überanstrengte.
Beim Abendessen versuchten die Callaghans, den stets schweigsamen Ned zum Reden zu bewegen, doch nur mit mäßigem Erfolg. Mary erzählte ihm, dass sie und Joe seit fünfzehn Jahren verheiratet seien und keine Kinder hätten und dass die Marylou ihr erstes richtiges Zuhause sei. Dann stellte Joe ein paar persönliche Fragen, aber da Ned nur widerstrebend von sich erzählte, erfuhren die Callaghans lediglich, dass er niemals geheiratet hatte und nach seiner Reise von Cornwall nach Australien von der Port Phillip Bay bis zur Spitze von Cape York weitergezogen war, ohne jemals irgendwo Fuß gefasst zu haben. Offenbar hatte er sich mit jeder erdenklichen Arbeit verdingt, angefangen vom Schlangenfänger bis zum Wollpacker. Einmal, erzählte er mit dem Anflug eines Lächelns, sei er sogar mit der Aufgabe betraut worden, die Flöhe aus dem Fell der Hunde eines Farmers zu klauben. Dies sei einer der Tiefpunkte in seinem Leben gewesen.
Joe und Mary bekamen den Eindruck, dass es viele solcher Tiefpunkte gegeben hatte. Sie fragten sich, ob Ned jemals ein so genannter »Gast der Krone« gewesen war, wie man die Exsträflinge scherzhaft nannte, zumal mehr als die Hälfte der australischen Einwohner ehemalige Strafgefangene waren. Dieser Verdacht drängte sich ihnen auch deshalb auf, weil Ned nicht erwähnte, mit welchem Schiff – und wann – er eingetroffen war, und sie wollten ihn nicht direkt danach fragen.
»Boora Boora ist ein seltsamer Name, Ned. Weißt du, was er bedeutet?«, fragte Mary, nachdem sie den Fisch verzehrt hatten und den Saft mit Brot auftunkten.
»Vor ein paar Jahren habe ich als Hilfsarbeiter auf einer Farm mit einem Ureinwohner aus dem ansässigen Yortta-Yortta-Clan zusammengearbeitet, und der hat mir mal eine kreisförmige Boora-Stätte gezeigt. Wenn ich’s mir genau überlege, könnte es sogar hier in der Gegend gewesen sein. Aber ich habe damals einen großen Bogen darum gemacht, weil der Ureinwohner sagte, dass sein Volk dort Zeremonien abhielte. Boora Boora ist wahrscheinlich eine heilige Stätte der Ureinwohner.«
»Und was für Zeremonien werden in diesem Boora-Kreis abgehalten?«, wollte Mary wissen, der schreckliche Bilder von Tier- und Menschenopfern in den Sinn kamen.
»Um ehrlich zu sein«, entgegnete Ned, »wollte ich es damals nicht wissen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich glaube, es ist am besten, sich von solchen Dingen fern zu halten.«
Mary sah Joe an. »Vielleicht hätten wir nicht hier anlegen sollen.«
»Wir stören ja niemanden«, erwiderte Joe.
»Mach dir keine Sorgen, Mary. Uns passiert schon nichts«, meinte auch Ned und rieb sein Bein. »Ich haue mich jetzt aufs Ohr.«
Im Lampenschein konnten Mary und Joe erkennen, dass Neds Gesicht verzerrt und bleich war. Auf seiner Stirn schimmerte ein Schweißfilm. Allmählich machten die Callaghans sich Sorgen um ihn, doch sie wussten, dass Ned abstreiten würde, krank zu sein, wenn sie ihn darauf ansprächen.
Mary warf einen ängstlichen Blick aufs dunkle Ufer. Neds beiläufige Beteuerung, dass nichts passieren könne, beruhigte sie kein
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