Am Fluss des Schicksals Roman
sich um eine kleine Badewanne handelte, über die ein Tuch in hellen Farben drapiert war, dessen Zipfel ins Wasser hingen. Ned verstand überhaupt nichts mehr. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass ein Ureinwohner eine Kinderwanne besaß.
Während Ned beobachtete, wie die kleine Wanne auf dem Wasser trieb, rätselte er, was er davon halten sollte. Im nächsten Moment blieb ihm vor Entsetzen der Mund offen stehen, weil er ein Baby weinen hörte. Wieder blickte er zuder Stelle, wo er die Silhouette unter den Bäumen erspäht hatte, doch wer immer es gewesen sein mochte, die Person hatte sich mittlerweile aus dem Staub gemacht. Ned kam der Gedanke, dass das Baby in der Wanne absichtlich ausgesetzt worden war – aber aus welchem Grund? Das war doch verrückt!
Ned handelte instinktiv. Ohne die Schmerzen im Fuß zu beachten, humpelte er zur Marylou, wo er an Bord kletterte und nach Joe rief. Als Joe und Mary kurz darauf erschienen, sahen sie Ned weit über die Reling gebeugt.
»Holt eine Laterne«, rief Ned. »Da treibt irgendwas im Fluss. Es sieht aus wie eine Wanne ... und ich glaube, ein Baby liegt darin.«
Joe und Mary, mit einem Schlag hellwach, wechselten einen bestürzten Blick.
»Beeilt euch!«, rief Ned.
Er klang so verzweifelt, dass Joe rasch eine Laterne anzündete und sich neben ihn stellte. Auch Mary spähte in die Dunkelheit. Zunächst konnte Ned die kleine Wanne nicht mehr entdecken, da sie aus dem Lichtkegel des Mondes verschwunden war, sodass er sich ängstlich fragte, ob sie bereits gekentert war.
»Wie kommt denn eine Wanne mit einem Baby in den Fluss, Ned?« Mary fragte sich insgeheim, ob Ned geträumt hatte.
»Ich dachte, ich hätte eine Frau gehört ...«
»Eine Frau?«, rief Mary erschrocken.
»Es war zwar zu dunkel, um sie zu erkennen, aber es hörte sich an, als hätte sie Schmerzen oder wäre verzweifelt. Als Nächstes habe ich ein Geräusch im Wasser gehört, als würde ein Boot vom Ufer aus hineingeschoben ... aber es war kein Boot, sondern eine kleine Wanne. Mir war das Ganze unerklärlich, bis ich ein Baby hab weinen hören ...« Ned wurde bewusst, dass seine Worte sich ziemlich verrückt anhörten,und er fragte sich unwillkürlich, ob er sich das Weinen des Babys tatsächlich nur eingebildet hatte. Es schien unfassbar, dass jemand ein Baby im Fluss ausgesetzt hatte.
»Bist du sicher, dass es kein Tier war, Ned?«
»Ich weiß, wie ein Tier klingt«, gab Ned ein wenig eingeschnappt zurück. Er wusste, wie fantastisch seine Geschichte sich anhörte, doch ihm missfiel die Vorstellung, dass Joe und Mary ihn für übergeschnappt halten könnten.
Joe und seine Ehefrau wechselten stumme Blicke. Sie wussten nicht, ob sie Ned glauben sollten. Mit einem Mal wurde die Stille vom erstickten Schrei eines Babys unterbrochen. Sofort wandten die drei sich um und spähten wieder aufs Wasser.
»O Gott«, stieß Mary hervor, die Hand vor den Mund geschlagen. »Da draußen ist tatsächlich ein Baby.«
Joe hielt die Laterne hoch, die einen schwachen, aber großen Lichtkreis auf das Wasser warf. Fassungslos beobachteten die drei, wie die Wanne mit dem Baby geräuschlos am Schiff vorüberglitt, von der Strömung getrieben. Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam sie, denn die Entfernung war zu groß, um die Wanne mit einer Stange einzuholen.
Als das Baby erneut jammerte, geriet Mary in Panik. »Wir müssen etwas tun!«, wandte sie sich an Joe. »Das arme Kind ertrinkt, wenn die Wanne kentert!«
Bevor Mary und Joe wussten, was Ned vorhatte, streifte dieser bereits seine Jacke ab und sprang unbeholfen über die Reling.
Instinktiv wollte Joe ihn zurückhalten, doch Ned tauchte bereits in die trüben Tiefen des Flusses ein und verschwand unter der Wasseroberfläche.
Marys Blick schweifte übers Deck. »Er hat seine Stiefel noch an, Joe«, rief sie. »Er wird ertrinken!«
Erneut hielt Joe die Laterne hoch, und gebannt verfolgten er und Mary, wie Ned wieder auftauchte und zur Mitte desFlusses schwamm, der kleinen Wanne hinterher, die von der Dunkelheit rasch verschluckt wurde.
Joe rief laut nach Ned, doch alles, was er und Mary hören konnten, war das Platschen von Neds Armen und Beinen, während er der Wanne hinterherschwamm.
Mehrere qualvolle Sekunden später rief Ned: »Ich ... hab sie.« Seine Stimme klang schwach, da er sich bereits ein gutes Stück von der Marylou entfernt hatte.
»Gegen die Strömung kann er den Weg zurück unmöglich schaffen«, sagte Joe zu Mary. »Nicht mit den Stiefeln
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