Am Fluss des Schicksals Roman
an den Füßen.«
»Dann werden er und das Baby ertrinken«, stieß Mary verzweifelt hervor. »Was können wir tun, Joe?« Mary konnte es nicht fassen, dass ihre erste Nacht an Bord so schrecklich verlief. Es war ein Albtraum.
»Ich hole ein Seil«, entschied Joe und stieg hastig in seine Stiefel.
Mit dem Seil und der Laterne sprang er von Bord und rannte am Fluss entlang, wobei er Ned zurief, er solle zum nächsten Ufer schwimmen. Joe wusste, dass Neds Kleidung und seine Stiefel ihn unter Wasser ziehen würden, und er gab ihm und dem Baby nur geringe Überlebenschancen.
In der Finsternis konnte Joe lediglich Neds Kopf und die dahintreibende Wanne erkennen. Er sah, dass Ned versuchte, zu einem umgestürzten Baum am Ufer zu gelangen, der seine Äste wie rettende Hände zu ihm ausstreckte. Doch er kam nur langsam voran, sein Kopf tauchte mehr als einmal unter Wasser.
Irgendwie schaffte es Ned, die dünne Spitze des nächsten Astes zu erreichen. Er schnellte zurück, als er danach griff. Joe watete ins seichte Wasser und warf das Seil aus, doch die Strömung riss es fort, bevor Ned es packen konnte. Als Joe das Seil eingeholt hatte, rollte er es schnell auf und band ein Ende um den Stamm des umgestürzten Baumes. Das Seil inder Hand, watete er dann bis zur Taille ins Wasser und warf das aufgerollte Ende noch einmal zu Ned hinaus. Wie durch ein Wunder landete es neben ihm. Doch in der Dunkelheit konnte Joe nicht erkennen, ob Ned danach griff.
Mary erschien, eine Decke in den Armen. Sie blieb am Ufer neben der Laterne stehen, die Joe dort abgestellt hatte, und beobachtete entsetzt, wie die Wanne zu kippen drohte. »Zieh ihn raus, Joe«, rief sie voller Angst, Ned und das Baby könnten in dem dunklen, trüben Wasser des Flusses versinken.
Als Joe Neds Gewicht am Seil spürte, zog er aus Leibeskräften daran. Die Wanne kam ein kleines Stück näher, doch von Ned war keine Spur zu sehen. Plötzlich bemerkte Joe Neds Hand, die aus dem Wasser ragte und mit der er sich seitlich an der Wanne festhielt. Joe sollte es ewig ein Rätsel bleiben, dass Ned die Wanne nicht zum Kentern gebracht hatte. Er watete weiter hinaus, bis das Wasser ihm unter die Achselhöhlen reichte, während er sich an den Ästen des umgestürzten Baumes und am Seil festklammerte. Schließlich erspähte er Ned, und es gelang Joe, ihn an der Schulter zu packen.
Marys Herz klopfte wild. Tränen der Erleichterung liefen ihr über die Wangen, als Joe Ned und die kleine Wanne ans sichere Ufer zog.
Dort wickelte Mary als Erstes Ned in die Decke und hob dann die kleine Wanne mit dem Baby darin hoch. Joe half Ned auf die Beine, indem er ihn mit der Schulter stützte. Obwohl Ned geschwächt war und viel Flusswasser geschluckt hatte, gelang es Joe, ihn wieder auf die Marylou zu befördern. Nachdem alle an Bord waren, nahm Mary das Baby aus der Wanne, hielt es ins Licht der Lampe und wickelte behutsam das Tuch auseinander, in das es gehüllt war. Eigentlich hatten sie damit gerechnet, einen kleinen Ureinwohner zu Gesicht zu bekommen, sodass sie fassungslos dasweißhäutige Baby anstarrten. Ein winziges Mädchen, erst wenige Stunden alt. Die Nabelschnur war unbeholfen mit einem Stück Faden abgebunden worden, und es war noch blutig von der Geburt.
»Armes Würmchen«, sagte Mary mit Tränen in den Augen, als das winzige Kinn des Babys plötzlich zu zittern anfing. Rasch wickelte Mary es wieder ins Tuch und hielt es schützend an die Brust, um ihm Wärme zu spenden. »Was ist das für eine Mutter, die ihr Neugeborenes in einem Fluss aussetzt!«
»Ich werde mal schauen, ob ich die Frau finden kann«, sagte Joe und zündete eine weitere Laterne an. »Vielleicht steckt sie in Schwierigkeiten.« Er vermutete, dass sie womöglich in eine der heiligen Zeremonien der Ureinwohner verwickelt war.
»Alles in Ordnung, Ned?«, fragte Mary, nachdem Joe sich auf den Weg gemacht hatte. »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, mitsamt den Stiefeln ins Wasser zu springen? Es ist ein Wunder, dass ihr nicht ertrunken seid, du und das Kleine.«
»Ich musste die Gelegenheit beim Schopf packen, Mary. Hätte ich nichts unternommen, wäre dieses süße kleine Mädchen bestimmt ertrunken oder tagelang auf dem Fluss getrieben und jämmerlich verdurstet.«
»Du hast Recht. Sie verdankt dir ihr Leben. Aber wir müssen unbedingt Milch für sie auftreiben. Ich weiß nicht, ob dein Verhalten tapfer oder dumm war, aber du musst einen Schutzengel gehabt haben, sonst hättest du es nie
Weitere Kostenlose Bücher