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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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beschädigt.» Sie seufzte.
    Millie, die bei ihr saß und half, sagte nichts.
    Was denn auch? Der Gedanke war dumm. Nichts an dieser neuen, zweiten Chance war beschädigt.
    Alles war gut.
    Und auch der Besuch der Winstons verlief Anfang Mai völlig reibungslos. Die beiden waren Mitte fünfzig, freundlich und voller Güte. Sie blieben über eine Woche und schlossen Audrey sofort ins Herz.
    Audrey spürte schon bald eine Veränderung. Ihre Eltern waren plötzlich gar nicht mehr so streng. Die tiefen Falten um den Mund der Mutter wurden weicher, die Schatten unter des Vaters müden Augen blasser.
    Das mochte daran liegen, dass sich die Eltern nicht mehr so sehr um Audreys Zukunft sorgten. Was konnte noch schiefgehen, wenn diese reizenden Leute über eine Woche blieben und immer wieder betonten, wie sehr sie sich freuten, wenn Audrey und ihr Matthew endlich zueinander fanden?
    Etwas gab es allerdings, das noch im Raum stand. Audrey spürte, wie es ihr die Luft abschnürte, sobald sie an den Brief dachte, den sie Matthew geschrieben hatte.
    Der Brief, in dem sie Matthew die ganze Wahrheit erzählte, warum sie nicht den Mann geheiratet hatte, mit dem sie bis vor einem Jahr verlobt gewesen war, lag in ihrer zerlesenen Ausgabe von «Große Erwartungen». Sie konnte ihn einfach nicht abschicken. Zu groß war ihre Angst, er könne sie für das, was sie getan hatte, verurteilen und nichts mehr von ihr wissen wollen.
    Matthew war ihre Chance, diesem Leben zu entkommen. Ihre Chance, den Eltern die Last zu nehmen, sich nicht nur um einen behinderten Jungen kümmern zu müssen, sondern auch noch in ständiger Sorge um die ledige Tochter zu sein, die niemand als Gouvernante wollen und die für immer unverheiratet bleiben würde.
    Wenn sie nur erst in Ostafrika war, konnte sie ihm immer noch alles erzählen. Und sie hoffte so sehr, er würde es verstehen.
     
    Viel wollte sie nicht mitnehmen. Ihre Wintersachen konnte sie komplett zurücklassen, denn am Fuß des Mount Kenya herrschte tropische Hitze. Zu leicht lasse man sich von den schneebedeckten Gipfeln täuschen, wenn sie aus dem Hochnebel auftauchten, so hatte Matthew es beschrieben.
    Sie konnte es kaum erwarten, es mit eigenen Augen zu sehen. Schnee unweit des Äquators! Das schien ihr wie ein Wunder.
    Sie sortierte gerade ihre Leibwäsche und die Unterröcke, als ihre Mutter auf das eine Thema zu sprechen kam, über das Audrey nicht reden wollte.
    «Du hast es ihm doch erzählt?», begann sie, und Audrey wusste sofort, was ihre Mutter mit «es» meinte.
    Sie verharrte einen Moment mitten in der Bewegung. Seufzte, als sei es ihr lästig, schon wieder darüber reden zu müssen. «Ja, Mam», sagte sie schließlich. «Er weiß Bescheid.»
    «Und was hat er dazu gesagt?» Ihre Mutter faltete Hemden und schlug sie in Seidenpapier ein. Das zarte Rascheln zerrte an Audreys Nerven, als wäre es ohrenbetäubend.
    «Er war natürlich nicht besonders erbaut», log sie drauflos. Woher sollte sie wissen, wie ein Mann auf so eine Nachricht reagieren würde?
    «Verständlich.» Ihre Mutter nickte. «Aber er hat trotzdem nichts gegen eure Hochzeit.»
    «Nein. Er mag mich, und ich mag ihn.»
    Von Liebe sprach sie nicht. Sie glaubte nicht, dass ihr ein zweites Mal im Leben die Gnade zuteilwurde, einen Mann so lieben zu dürfen, wie sie einmal hatte lieben dürfen.
    «Das ist mehr, als die meisten Paare vor ihrer Hochzeit verbindet. Auch wenn ich kein gutes Gefühl habe. Er könnte bucklig sein oder hässlich. Das wäre kein Grund, ihn nicht zu mögen», fügte ihre Mutter hastig hinzu. «Aber es ist bestimmt einfacher, ihn lieb zu haben, wenn er ein aparter Kerl ist.»
    Audrey antwortete nicht. Sie raschelte besonders laut mit dem Seidenpapier und hoffte, ihre Mutter würde das Thema nun auf sich beruhen lassen.
    «Du darfst dir nicht zu viel erwarten, Audrey», fuhr die Mutter beharrlich fort.
    Wenn sie doch nur die nächsten Tage überspringen könnte, bis sie an Bord der
S. S. Berwick Castle
gingen, die sie nach Mombasa bringen sollte!
    «Das tue ich nicht», erwiderte sie steif.
    «Rose und Reginald Winston sind bei dir. Sie werden auf dich aufpassen.»
    «Ich werde schon klarkommen.»
    Sie musste dieses Gespräch beenden. Matthew würde schon der richtige Mann für sie sein. Wenn er einen Klumpfuß hatte oder hässlich war oder ihr eine charakterliche Schwäche verschwiegen hatte, die ein Zusammenleben, geschweige denn eine Ehe unmöglich machte, dann würde Audrey das ertragen. Sie würde

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