Am Fuß des träumenden Berges
einer der Ärmsten im Dorf.
«Und die Moral von der Geschicht?»
Kinyua grinste. Er hockte auf der Treppenstufe zur Veranda, und der Bwana hatte es sich in einem Korbsessel gemütlich gemacht. So hielten sie es inzwischen, wenn Kinyua einmal pro Woche vorbeikam, damit sie über die Farm redeten – und über Kinyuas Leute, die bei dem Bwana arbeiteten.
«Wenn du dir eine Frau ins Haus holst, lass es eine gute sein. Eine, die ihren Preis wert ist.»
«Ich zahle nichts für sie.»
«Dann ist ihr Vater sehr dumm. Jede Frau ist etwas wert. Eine gute Frau kann dir viele Söhne schenken. Junge Krieger, die auf deine Teeplantage achten und Löwen jagen. Und viele Töchter, die du an andere Weiße verheiraten kannst. Kinder sind wichtig.»
«Ich mag sie», meinte der Bwana. «Das genügt mir.»
Kinyua schnaubte leise. Genau deshalb hatte er doch die Geschichte von Ngengi erzählt, oder nicht? Er hatte den Bwana warnen wollen. Es war immer gefährlich, wenn man sich bei der Entscheidung für eine Frau nicht von den Vorteilen leiten ließ, die diese Verbindung brachte, sondern auf das schaute, was das Herz bewegte.
«Du wirst jede Frau mögen», prophezeite er. «Nach dem ersten Kind wirst du sie lieben und verehren, weil sie dir eine Zukunft schenkt. Weil ihr Kinder habt, die zu euch sprechen, wenn ihr erst ins Totenreich eingegangen seid.»
Er hatte schon oft versucht, dem Bwana zu erklären, warum Ahnen so wichtig waren. Doch davon hatte der nichts hören wollen. Er hatte auch nicht über seine Ahnen sprechen wollen, fast als sei es ihm unangenehm.
Sie schwiegen.
Schweigen war angenehm mit Bwana Winston. Kinyua kannte nur wenige Weiße, die schweigen konnten.
Schließlich zündete der Bwana sich eine Zigarette an. «Nächste Woche brauche ich deine Leute auf den Feldern.»
«Meine Leute müssen auch auf ihre eigenen Felder», widersprach Kinyua.
«Ich zahle gutes Geld.»
«Sie leben von dem, was sie auf ihren Feldern anbauen.»
«Ich könnte sie von meinem Land vertreiben, wenn sie nicht für mich arbeiten.»
Kinyua antwortete nicht. Sie hatten diese Diskussion schon häufiger geführt, und jedes Mal mit demselben Ergebnis: Der Bwana bekam seinen Willen und so viele Arbeitskräfte, wie er brauchte.
Er saß am längeren Hebel.
Kinyua stand auf. «Dann bist du bald weg, sie holen?»
«Sie kommt in zwei Wochen in Mombasa an.»
«Du holst sie aus Mombasa?»
«Ich hole sie aus Mombasa.»
«Dann wünsche ich dir Glück mit deiner Frau. Dass sie so ist, wie du’s gern hättest.»
Die Weißen mochten es, wenn ihre Frauen gehorsam waren.
Kinyua hatte kein Interesse an der Frau des Bwanas. Sie war weiß. Die wenigen weißen Frauen, die er bisher kennengelernt hatte, fürchteten sich vor ihm.
Diese würde keine Ausnahme bilden.
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4 . Kapitel
Ein Steward führte sie zu den Kabinen in der ersten Klasse. Sie hatten eine Kabine für die beiden Winstons gebucht, und direkt daneben eine zweite für Audrey. Sie waren eng, aber luxuriös ausgestattet. Zwei einzelne Betten, fest an den Wänden verschraubt, dazwischen etwas Platz und sogar zwei Nachttische, darüber ein Bullauge. Audreys Reisetasche hatte man bereits ans Fußende des linken Betts gestellt, und auf dem rechten Bett lagen zwei alte, abgewetzte Taschen, die seltsam fehl am Platz wirkten. Sie würde die Kabine also nicht allein bewohnen.
Nun, das war ihr gleichgültig. Tagsüber wollte sie ohnehin die meiste Zeit an Deck verbringen, da brauchte sie sich um ihre Kabinengenossin wirklich nicht zu sorgen.
Das Gepäck konnte sie später noch auspacken. Jetzt nahm Audrey nur ein gestricktes Schultertuch aus ihrer Tasche und ging wieder an Deck. Ein letzter Blick auf die Heimat. Ein letztes Mal ihren Eltern zuwinken, ehe der Pier am Horizont verschwand und sich das Schiff stampfend und beständig Richtung Afrika aufmachte.
Sie traf vor der Kabinentür Mrs. und Mr. Winston, die ein etwas schrulliges, aber warmherziges und lebenslustiges älteres Ehepaar waren – «Rose und Reggie, Liebes, immerhin sind wir jetzt eine Familie!» –, und gemeinsam gingen sie hinauf zum obersten Deck. Von da oben bot sich ein imposanter Blick auf den Hafen. Auf die vielen Menschen, die über die Gangways an Bord der Schiffe drängten, die sich in der zweiten und dritten Klasse für die Wochen auf See unter beengten Verhältnissen einrichteten. Audrey sah Männer und Frauen in ärmlicher Kleidung, die eine kleine Kinderschar vor sich hertrieben,
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