Am Fuß des träumenden Berges
das Jüngste an der Brust der Mutter, das Zweitjüngste auf den Schultern des Vaters, während das älteste Kind das größte Bündel schleppte.
Jeder hat seinen Platz in der Welt, dachte Audrey.
Dann sah sie ihre Eltern. Sie standen etwas abseits. Nicht mehr dort, wo sie sich voneinander verabschiedet hatten.
Ihre Mutter hatte sich abgewandt, und sie betupfte die Augen mit ihrem Spitzentaschentuch. Audreys Vater hatte in einer hilflosen Geste die Hand auf den Arm ihrer Mutter gelegt, und weil das nichts half, legte er schließlich unbeholfen den Arm um sie und zog sie an sich. Dieser winzige Moment war mehr wert als alle Abschiedsworte, er war schmerzlich und voller Hoffnung für Audrey. Ihre Mutter, die zuletzt immer so hart und unnachgiebig gewesen war, weinte.
Audrey schluckte schwer. Es war, als hebe sich für einen Moment der Vorhang, der seit dem vergangenen Sommer schwer und dicht zwischen Mutter und Tochter gehangen hatte.
Sie riss sich zusammen. «Es tut mir leid. Ich möchte lieber auf die andere Seite des Decks», sagte sie, stieß sich von der Reling ab und marschierte los. Ihr war plötzlich trotz der wärmenden Sonne kalt, und sie hüllte sich in das Tuch, das nach zu Hause roch, nach den Lavendelzweigen in der Wäschetruhe und nach den sauberen Laken, die auf der Wiese hinter dem Haus zum Bleichen ausgelegt wurden.
«Audrey, Kindchen, ist dir nicht wohl?» Rose folgte ihr, und ihre jugendlichen Ringellöckchen wippten keck.
«Es ist nichts.» Sie schüttelte den Kopf. Als ließen sich die Tränen damit aus den Augen schütteln.
«Aber du siehst traurig aus. Komm, du musst doch deinen Eltern zum Abschied winken.» Sanft zupfte Rose an ihrem Ärmel, und Audrey gehorchte. Wie sie es immer getan hatte.
Nachdem das Schiff abgelegt hatte und über die Themse langsam Richtung Meer fuhr, kehrte Audrey in ihre Kabine zurück. Sie hatte brav gewunken, hatte ein Lächeln auf ihr Gesicht gezwungen und gesehen, wie ihre Eltern ebenso winkten und lächelten.
Sie beschloss, ihrer Mutter schon bald zu schreiben. Vielleicht hatte sie ihr unrecht getan im letzten Jahr. Vielleicht hatte sie ihr doch verziehen. Diese Vorstellung war zu überwältigend, um sie wirklich begreifen zu können.
Sie kehrte mit einem Buch an Deck zurück und fand sich mit Rose bei den Liegestühlen ein. Sofort war ein Steward zur Stelle. Er winkte einem jüngeren Kollegen, der sogleich die beiden Liegestühle zurechtrückte, Polster auflegte und fragte, ob die Damen einen Wunsch hätten – eine Decke vielleicht, wenn es zu kühl wurde, oder eine Erfrischung.
Rose strahlte den jungen Mann an und bestellte einen kleinen Imbiss. «Und Champagner!», fügte sie fröhlich hinzu. «Wir haben nämlich was zu feiern, findest du nicht, Audrey?»
Andrey schüttelte verwirrt den Kopf.
«Wir sind unterwegs! Ich finde, das ist ein schöner Grund zum Feiern!» Rose lehnte sich zufrieden zurück. Während Audrey sich in ihren Roman vertiefte, schloss Rose zufrieden die Augen und genoss die kühle Brise. Sie wurde erst wieder munter, als der Steward ihnen eine Etagere mit kleinen Sandwichs, Törtchen und Tee brachte. Der Champagnerkorken knallte leise, und er hielt beiden Damen die Gläser auf einem Silbertablett hin.
«Ah, so lässt es sich aushalten.» Rose hob das Glas. «Auf diese wunderbare Reise! Auf dich und Matthew, Liebes! Mögt ihr glücklich werden.»
«Wo ist eigentlich Reginald?», fragte Audrey. Mit dem ersten Schluck Champagner war ihr Hunger erwacht, und sie nahm einen Teller, um Sandwichs auszuwählen. Es gab alles, was das Herz begehrte: Edelkäse, Räucherforelle und Schinken. Dazu süße Haferbrötchen mit frischer Marmelade und Biskuitschnitten mit Sahnecreme.
«Er erkundet das Schiff. Vor dem Dinner heute Abend sehen wir ihn bestimmt nicht wieder. Und du wirst staunen, was er uns bis dahin alles erzählen wird.»
Audrey lächelte. Das sah Reginald Winston ähnlich. Sie hatte gleich bemerkt, dass der alte Mann den Schalk im Nacken hatte.
«Nun, so wird wenigstens niemandem langweilig.»
«Oh, langweilig wird uns bestimmt! Ich hoffe, du hast meinen Rat beherzigt und ein paar dicke Bücher mitgenommen, Liebes. Und ich hoffe, du leihst sie mir, wenn ich meine Bücher schon durchhabe. Du kannst gerne welche von meinen ausleihen. Mit etwas Glück gibt es an Bord auch eine Bibliothek, aber unter uns, ich habe da schon schlimme Sachen erlebt. Einmal waren wir mit Matthews Eltern unterwegs nach Amerika, und an Bord gab es
Weitere Kostenlose Bücher