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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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keine Konkurrenz zu machen.
    Von den Volljährigen aber, dachte Chico, nehmen wir wirklich jeden. Der Mandant zum Beispiel, mit dem er an diesem Morgen einen Termin hatte: Der kam ihm vor wie ein Naivling, der sich wunder was von der Justiz erhofft. Außerdem hatte er die unangenehme Angewohnheit, ihn Federico zu nennen und zu duzen, nur weil er, Chico, erst siebenundzwanzig und frisch von der Uni war.
    Der Blondschopf von Alessia Boldini, der Sekretärin, war das Erste, was ihm ins Auge stach, als er die Kanzlei betrat.
    »Ciao, Alessia«, begrüßte er sie. »Ist der Herr Porta schon da?«
    »Noch nicht.«
    »Na gut, dann hab ich noch Zeit für einen Kaffee. Trinkst du einen mit?«
    »Gern.«
    Junganwalt Chico Malfanti war stolz auf seinen Kaffee. Dessen Zubereitung übernahm er grundsätzlich selbst: Unter Verschmähung von Kaffeemaschinen aller Art kochte er ihn in einem orientalischen Gefäß auf dem Herd. Während er mit der Kaffeemühle die Bohnen mahlte, blickte er zum Fenster hinaus und dachte daran, was ihn an diesem Tag erwartete. Um acht Uhr Termin mit Tommaso Porta; von neun bis zehn Erledigung der Korrespondenz; von zehn bis zwölf zwei weitere Termine mit Mandanten, und um zwei eine kleine Verhandlung vor dem Strafgericht wegen Fahrens in alkoholisiertem oder, wie man heute sagte, in fahruntüchtigem Zustand (was am Tatbestand des guten alten Rausches freilich nichts änderte).
    Ein ziemlich ereignisreicher Tag, zum Glück. Chico saß nicht gern am Schreibtisch: Er liebte es, unterwegs zu sein, mit Leuten zu reden. Manchmal kamen ihm Zweifel, ob er den richtigen Beruf gewählt hatte; ein bisschen mehr Abenteuer wären ihm schon recht gewesen. Aber solche Gedanken gab ihm vielleicht nur der triste Anblick des Viertels San Giovanni in Bellinzona an einem kältestarren Januarmorgen ein. Die grauen Zweige der Platane vor dem Fenster regten sich kaum. Es war ein trockener Winter mit oft scharfem Wind, von dem die Hände rot und die Lippen rissig wurden. Kein Schnee, nicht mal an Weihnachten, und kein Nebel: nichts als Wind und eingerollte Blätter.
    Chico empfing Porta, um ihn ein bisschen zu beeindrucken, im großen Besprechungssaal. Dort gab es einen ovalen Tisch, der sehr auf Weißes Haus machte, einen Zimmerfarn und an den Wänden zwei Hopper-Drucke. Chico spielte mit seinem Montblanc, während Porta redete.
    »Also, Signor Porta«, unterbrach er ihn nach einer Weile unter spezieller Betonung des Signor . »Nur damit wir uns richtig verstehen: Sie wollen gegen den von der Elektrizitätsgesellschaft beschlossenen Ausbau des Stausees Beschwerde erheben und gleichzeitig das Beschwerdeverfahren von vor zwanzig Jahren wieder aufnehmen, bei dem es um den letzten Ausbau desselben Stausees ging. Verstehe ich das richtig?«
    »Das verstehst du richtig, ja.«
    Chico seufzte.
    »Also, um ehrlich zu sein, ich sehe da keine großen Chancen, Signor Porta . Vor allem was die Vergangenheit betrifft. Was sollen wir denn tun? Nach zwanzig Jahren noch eine Entschädigung herauszuholen halte ich für ausgeschlossen.«
    Porta fuhr auf, als hätte Chico ihn beleidigt. Aber dann zwinkerte er zwei, drei Mal rasch hintereinander und fasste sich wieder.
    »Heute ist das Umweltbewusstsein größer«, sagte er mit gesenkter Stimme.
    »Ja, aber das Gesetz ist immer noch dasselbe.« Chico blätterte in den Unterlagen vor ihm auf dem Tisch. »Gut, im Bundesgesetz heißt es, Kraftwerke sind so anzulegen, dass die Landschaft dabei so wenig wie möglich verunstaltet wird. Aber was heißt ›so wenig wie möglich‹ im Fall eines bereits vorhandenen Staudamms?«
    Tommaso Porta presste die Lippen zusammen und nickte langsam.
    »Natürlich«, fuhr der Anwalt fort, »kann man eine Beschwerde gegen die neuerliche Enteignung ins Auge fassen. Wer weiß
    - vielleicht könnte man sich auf irgendeinen Verfahrensfehler berufen. Aber das ist vermintes Gelände, versprechen kann ich Ihnen nichts.«
    »Keine Sorge, Versprechen brauche ich nicht.«
    Porta starrte ihm in die Augen, und Chico verspürte einen Anflug von Nervosität.
    »Wenn ich richtig verstanden habe, sprechen Sie für eine Gruppe von Grundeignern?«
    »Sicher, ich habe jede Menge Unterschriften gesammelt. Sie sind alle auf meiner Seite.«
    »Gut. In dem Fall werde ich mich mit Rechtsanwalt Calgari besprechen und mich dann wieder bei Ihnen melden.«
    »Denen zeigen wir’s.« Tommaso Porta lächelte, aber sein Blick blieb ernst. »Die Achtziger sind vorbei, diesmal läuft es

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