Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
Einführung
Oder:
Welche Boygroup ist das?
Die Herren in ihren gehobenen Stadtverwaltungs-Outfits – Anzug, Krawatte, Mantel – wirken etwas verloren, wie sie da so auf dem freien Feld herum stehen. Sie warten. Der Oberbürgermeister von Mönchengladbach, sein Mann für die Wirtschaftsförderung und der für die Stadtplanung harren an diesem Frühjahrstag 2012 im matschigen, kaum erschlossenen Gewerbegebiet an der Autobahn 61 der potenziellen Investoren.
Irgendwann, endlich, fahren statt dunkler Vorstands-Limousinen zwei schlichte, beigefarbene Großraumtaxis vor. Und jetzt kommt es zu einer dieser skurrilen Begegnungen, die so typisch sind für die Verwirrungen, die der Onlinehändler Zalando in die Welt der Wirtschaft gebracht hat. Denn den Autos entsteigen nicht gesetzte Herren mit Haifischblick, gekleidet in der businessmäßigen Entsprechung des Stadtverwaltungs-Outfits, sondern lockere, junge Männer in etwas, das der Herr Oberbürgermeister für die Freizeitkluft der Jugend von heute halten muss. »Mein erster Gedanke war: Wer kommt da denn?«, erinnert sich Stadtoberhaupt Norbert Bude, »welche Boygroup ist das?«
Diese Jünglinge wollen sich wirklich in seiner Stadt ansiedeln und hier Millionen investieren? Die Geschäftsführer und die führenden Mitarbeiter der jungen Kultmarke Zalando, die in den ersten vier Jahren ihres Bestehens schneller gewachsen ist als jedes andere Unternehmen in Europa, hatten sich die Herren der Stadtverwaltung irgendwie ganz anders vorgestellt.
Doch im Gespräch merken die Rathaus-Leute sehr schnell, was für Manager in Freizeitkleidung sie da vor sich haben: »Die waren extrem gut vorbereitet, stellten die wichtigen Fragen und bestanden auf vernünftigen Antworten«, erinnert sich Bude. Gleich in diesem allerersten Gespräch werden sich beide Seiten einig und stellen einen Zeitplan für den Bau eines riesigen Logistikzentrums auf. Das soll nicht nur Nordrhein-Westfalen und die angrenzenden Bundesländer, sondern gleich auch noch Holland, Belgien und Frankreichs künftig mit Schuhen und Mode versorgen und die Kundinnen vor Glück schreien lassen. Genauso wie in den inzwischen legendären Werbespots.
»Wir gaben uns den Handschlag und bisher haben sich beide Seiten an alle Abmachungen gehalten«, staunt Mönchengladbachs Oberbürgermeister noch ein Dreivierteljahr später bei der Grundsteinlegung des Betriebes, der 1 000 Menschen Arbeit geben soll. Dabei hatte er schon befürchtet, die Sache mit dem Handschlag, der tatsächlich noch etwas gilt, sei aus der Mode gekommen. Und dass Investoren per SMS statt in einem förmlichen Brief nachfragen, wie weit es mit der besprochenen Änderung des Bebauungsplanes denn nun sei, haben sie in deutschen Stadtverwaltungen auch noch nicht so häufig erlebt.
Bei Zalando geben sie halt nicht viel auf herkömmliche Formalien, sie haben keine Zeit, sie haben eine Vision und wollen Fakten. Hier sind keine halbwüchsigen Möchtegern-Unternehmer am Werk, sondern Macher, die klotzen statt zu kleckern. »Hauptsache groß«, umschreibt Oliver Samwer, mythenumrankter Serien-Firmengründer und Zalando-Geldgeber der ersten Stunde, diese Marschrichtung.
Bisher funktioniert es blendend, die junge Marke aus Berlin hat – Stand Mai 2013 – 15 Millionen Kunden, die schon mehrfach bestellt haben. Pro Monat kommen noch 500 000 Neukunden hinzu, von denen viele ebenfalls bleiben. Eine Million Pakete verschickt Zalando jeden Monat nach Deutschland, Österreich, in die Schweiz und elf weitere europäische Länder. Die Kunden haben die Auswahl aus 150 000 verschiedenen Mode- und Schuh-Produkten von 1500 Marken – das sind so viele Artikel, wie sie in 60 oder 70 klassische Geschäfte hineinpassen würden. Über eine Milliarde Euro Umsatz hat Zalando den geschockten, bisweilen ratlosen klassischen Händlern in Europa allein 2012 schon abspenstig gemacht, doppelt so viel wie noch im Vorjahr. Die zweite Milliarde ist wohl nur eine Frage der Zeit. Das reicht schon jetzt für den Titel des größten E-Commerce-Versenders für Fashionartikel in Europa. Die Internetseite verzeichnet nach Unternehmensangaben 100 Millionen Besuche jeden Monat.
Und weil das Wachstum ungebremst weitergeht, spekulieren Experten schon, wie viele Tausend herkömmliche Läden schließen müssen und wie viele Innenstädte veröden werden, weil der Onlinehandel – längst nicht nur Zalando – in atemberaubender Geschwindigkeit in Deutschland, Europa und in der ganzen Welt die
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