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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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schön, vor allem in sinnlicher Hinsicht. Das hatte wohl damit zu tun, daß ihr Körper das einzige war, woran ich mich halten konnte, da sie ihr Wesen ja zum Teil verbarg. Ihr Körper war faßbar, alles andere kaum, und ihre Neigung, sich zum Geheimnis und also interessant zu machen, ging mir allmählich nur noch auf den Wecker.
    Du, sagte Loos, ich müßte schnell. – Ich eigentlich auch, sagte ich. – Wir stellten uns, wie in der Nacht zuvor, gemeinsam an den Wegrand. – Es gibt Blumenkelche, sagte Loos, die ungeöffnet bleiben, wenn sie die Sonne nicht bescheint. Sie empfinden die Strahlen als Zustimmung, als etwas Behütendes, und deren Fehlen bewegt sie dazu, sich in sich selbst zurückzuziehen, sich gleichsam zu verhüllen. – Sehr poetisch, sagte ich, sehr metaphorisch, geht’s auch direkter? – Ja, sagte Loos, es geht direkter: Mich erbarmt diese Frau. – Erstens bin ich kein Unmensch, sagte ich, und zweitens wußte sie genau, worauf und auf wen sie sich einließ. Hätte sie einen sicheren Hafen gesucht, dann wäre sie mir aus dem Weg gegangen.
    Loos schwieg. Loos brauchte länger, ich ging ein paar Schritte voraus. Als er mir nachkam – ich hörte nur das helle Teck der Regenschirmspitze auf dem Pflaster –, befiel mich für Sekunden Angst, ich fühlte mich verfolgt, abstruserweise, mir war, als drohe mir ein Schlag von hinten. Loos holte mich ein. Ich habe dich nicht attackieren wollen, sagte er, als wüßte er um meinen Anfall. Aber darauf bezog er sich nicht, denn er fuhr fort: Du hast mir Valerie nahegebracht, ähnlich wie deinen Freund Tasso, und zwar auf eine Weise, die Anteilnahme in mir weckte, das ist alles. – Dann bin ich beruhigt, sagte ich, ich habe dein Mitleid nämlich als Vorwurf empfunden, und vorzuwerfen habe ich mir wirklich nichts, es sei denn meine Feigheit: Zu lange habe ich gezögert, ihr klaren Wein einzuschenken, ihr zu sagen, daß eine Trennung für beide Teile besser wäre. Und selbst mein Zögern hatte Gründe. Ich wollte Rücksicht nehmen auf ihre nervliche Verfassung, und die war nie die beste und wurde im dritten Monat des Zusammenseins besorgniserregend schlecht. Weinkrämpfe, Schlaflosigkeit, Zuckungen der Augenlider und manchmal der Finger, es war eine ziemliche Qual. Natürlich fragte ich sie, ob sie die Ursache der Störungen kenne, und sie sprach von Problemen im Behindertenheim, von ihrer aufreibenden Arbeit, von gruppendynamischer Disharmonie und so weiter. Ich war der Meinung, sie müsse etwas unternehmen, sie müsse einen Psychiater konsultieren. Sie tat es nach langem Sträuben. Der Arzt empfahl ihr einen Aufenthalt im Kurhaus Cademario, im Juni reiste sie hin. Von Zeit zu Zeit rief ich sie an, sie wirkte eher kühl und sagte nie, daß ich ihr fehle – ein Umstand, der mich ebenso erleichterte wie ihre Mitteilung, es gehe ihr täglich besser.
    Ich nahm jetzt eigentlich an, daß sie dank der Distanz von mir und dank der entspannenden Alltagsferne zur Selbstbesinnung gekommen war, das heißt zur Einsicht, daß eine Trennung fällig war. Sie einvernehmlich zu vollziehen hielt ich für möglich, und in der dritten, letzten Woche ihres Aufenthalts hab ich mich dazu aufgerafft. Zu warten, bis Valerie zurückkam, schien mir ein wenig bequem und auch nicht unbedingt ratsam, weil man befürchten mußte, daß in der alten und gewohnten Sphäre der Mut zum Schlußstrich wieder sinken könnte. Am Vortag des Besuchs rief ich sie an, sie freute sich auf mich – mehr als mir lieb war.
    Ich reiste also hin und traf am Nachmittag, so gegen vier, in Cademario ein. Sie saß auf der Terrasse des Kurhaus-Restaurants und trank Kaffee mit einer äußerst attraktiven Frau in weißer Arbeitskleidung. Valerie wirkte entspannt, begrüßte mich zärtlich und stellte mir Eva vor, eine Atemtherapeutin, mit der sie recht vertraut schien und die sich gleich zurückziehen wollte, was Valerie nicht zuließ. Sie sagte scherzhaft zu ihr, ich könne schwer allein sein, sie, Eva, solle mir Gesellschaft leisten, während sie selbst, da sie ja ausgeführt werde, uns jetzt verlasse, um sich zurechtzumachen für den Abend. Ich unterhielt mich glänzend mit Eva, in zwanglos lockerstem Ton, sie war exakt mein Typ. Sportlich, spritzig, sexy. Ich bin ja einiges gewohnt, doch daß es so rasch funkte, erstaunte mich trotzdem ein wenig. Eva ließ ihre Katzenaugen blitzen, unzweideutig, ich bin nicht blind. Und da ich auch nicht blöd bin, sagte ich zu ihr, es sei ein Jammer, daß ihre Kaffeepause schon

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