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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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sie trotzdem zu klammern beginnt, so breche ich ab. Im übrigen ist es nach meiner Erfahrung nicht so, daß nur unzufriedene, unausgefüllte Frauen in Versuchung geführt werden können. Ich habe ein anderes und gar nicht sehr seltenes Phänomen sowohl von außen beobachtet als manchmal auch selbst erlebt, ein Phänomen, das mir willkommen ist. Oft scheinen Frauen, die in festen Händen sind und sich darin durchaus geborgen fühlen, noch etwas anderes zu brauchen. Sie lieben ihren Mann als Ruhepol und empfinden die Ehe als Hort, als emotionales Festland, auf dem sie bleiben möchten. Und trotzdem fehlt ihnen etwas, trotzdem übt das offene, bewegte und unberechenbare Meer eine starke Anziehungskraft auf sie aus. Was spricht gegen ein aufregendes und nicht ganz ungefährliches Bad? Eigentlich nichts, solange das Festland in Sicht bleibt. Verstehst du, was ich sagen will? Die Bettflasche ist solide und strahlt gemütliche Wärme ab, romantischer und knisternder hingegen ist ein Feuer.
    Ja, ich verstehe, sagte Loos, die Ehemänner sind die Flaschen und du der Feuerteufel. Was du behauptest, mag ja nicht ganz falsch sein, nur tust du so, als sei der Sprung ins wilde Meer ein typischer Frauentraum. Es gibt auch die gebundenen Männer, die ihre traute Frau und Hemdenbüglerin nicht missen möchten und sich trotzdem die Freiheit nehmen, auf einer zweiten und scheinbar aparteren Hochzeit zu tanzen. Ich selbst habe nie das Verlangen gehabt, mich anderweitig umzutun, und zwar aus dem einfachen Grund, weil meine Frau so reich und vielfältig war, daß mir nicht das Geringste abging, sie gab und war mir alles. Doch wie auch immer, was ich noch fragen wollte: In welche deiner zwei Seitensprunggruppen gehörte Valerie? Kam sie aus einer lotternden Ehe oder aus einer intakten? – Ich habe es nie herausfinden können, sagte ich, ich habe ja erwähnt, daß sie darüber nicht reden wollte. Es war überhaupt, als käme sie aus dem Nichts, als hätte sie kein Vorleben, keine Geschichte, und ich bin überzeugt, daß dies für sie das Reizvollste an unserer Affäre war. Ich merkte, wie sie es genoß, ein unbeschriebenes Blatt zu sein und mich, vielleicht auch sich, mit allem, was sie sagte, wünschte oder tat, zu überraschen. Ich glaube, sie wurde sich selber neu, indem sie spürte, wie spannend neu sie für mich war. Auch ich genoß es natürlich, eine Geliebte zu haben, die mich mit jeglichem Ballast verschonte und auch nicht das Bedürfnis hatte, unser Verhältnis zu definieren oder mich gar zu erschrecken mit Andeutungen punkto Zukunft. Eines Tages, etwa fünf Wochen, nachdem wir uns kennengelernt hatten, erschrak ich dann doch. Wir waren, da wir beide gern Tango tanzten, in einem Dancing gewesen, und ich fragte sie auf dem Heimweg zu mir, warum sie auf einmal mehr Zeit für mich habe und wie sie ihr häufiges Ausgehn zu Hause erkläre. Laß das meine Sorge sein, sagte sie schroff. Aber für einmal ließ ich nicht locker, bis ich von ihr erfuhr, daß sie zur Zeit bei ihrer Schwester wohne. Und da erschrak ich. Was konnte ich anderes daraus folgern, als daß sie meinetwegen weggegangen war von ihrem Mann? Wir hatten uns doch, wenn auch ohne Worte, darauf verständigt, es komplikationslos schön zu haben miteinander. Ich war der Meinung gewesen, auch Valerie verstehe unsere Beziehung als Romanze, genieße sie als solche und sehe ihretwegen keinen Anlaß, an ihrer Ehe zu rütteln. Ich machte ihr Vorhaltungen und nannte ihren Auszug einen Fehlentscheid. Ich fragte sie, warum sie das Bestehende gefährde und ihren Mann, von dem sie ja nie schlecht gesprochen hätte, einfach sitzenlasse. Alles klang so, als hätte ich mit ihm das brüderlichste Mitleid. Vermutlich durchschaute sie mich und erkannte den Grund meines Unmuts. Jedenfalls sagte sie, wie um mich zu beruhigen, es gehe um eine Trennung auf Zeit, um eine Atempause. Ich hatte sie schon einige Male gefragt, ob ihr Mann von uns wisse, und nie eine Antwort bekommen. Jetzt konnte ich annehmen, daß er im Bild war. Zur Sicherheit fragte ich nach. Sie fragte zurück, warum mich das so brennend interessiere. Ich wußte es nicht, ich glaube, es irritierte mich einfach, daß sie Bezirke absteckte, die für mich unbetretbar waren. Fast wütend heftig, ohne Vorspiel, schlief ich mit ihr an jenem Abend.
    Loos gähnte und schaute auf die Uhr. Ich sehe, du langweilst dich, sagte ich zu ihm, und ich begreife es sogar. Du denkst an deine Frau, an ihren morgigen Todestag vielleicht, und ich martere

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