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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Sie war so lieb und munter, ich schaffte es nicht, ich wartete und gab mich absichtlich wortkarg, in der Hoffnung, sie frage mich ein zweites Mal, was mit mir los sei. Sie fragte nicht. Ich brachte sie, so gegen zehn, zurück nach Cademario.
    Sie summte während der Fahrt. Ich ging mit ihr aufs Zimmer, sie wollte, daß ich es sehe. Auf einem Tisch stand eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern, daneben ein Fernsehgerät, von Valerie mit einem kleinen Tuch verdeckt. Sie öffnete die Flasche, was ich sonst immer besorgte, und schenkte die Gläser voll. Sie setzte sich aufs Bett, ich wählte den Sessel. – Auf uns zwei! sagte sie, nahm einen Schluck, stellte das Glas auf den Nachttisch und legte sich hin. Valerie …, sagte ich. – Thomas, sagte sie schüchtern, komm noch ein bißchen zu mir, ich meine in den Kleidern, einfach so. – Ich konnte mich nicht rühren, sie setzte sich auf. Ich werde es verkraften, sagte sie. Ich fragte: Was denn? – Das, was du mir eröffnen möchtest, sagte sie. – Dann hörte sie mir zu, gefaßt, nur manchmal zitterte ihr Kinn. Sie nickte, als ich fertig war, als sei sie einverstanden. Sie fragte nichts. Mit leiser, fast unhörbarer Stimme sagte sie: Ich fühle mich armselig. – Nach einer Weile stand sie auf und öffnete die Tür. – Flieg! sagte sie.
    Das war’s, wir haben uns nie mehr gesehen und nie mehr etwas gehört voneinander. Ich sage das ohne Bedauern und gehe davon aus, daß Valerie die Trennung rasch verwunden hat, sonst hätte sie sich kaum so konsequent zurückgezogen, sondern noch eine Zeitlang Terror gemacht. – Vielleicht ist sie zurückgekehrt zu ihrem angestammten Ankerplatz? sagte Loos. Kann sein, sagte ich, es soll ja Männer geben, die ihre Frauen tröstend in die Arme nehmen, wenn sie nach einer bitteren Enttäuschung verweint nach Hause kommen. – Hatte sie eigentlich Kinder? fragte Loos. – Nein, sagte ich, sie hat nie welche gewollt. Die Welt sei voll genug, hat sie einmal gesagt, und jeder neue Fußballfan sei einer zuviel. Das hat sie natürlich als Scherz gemeint, weil sie wußte, daß ich einer bin. Die wahren Gründe hat sie wie üblich verschwiegen. Warum fragst du? – Um mein Bild abzurunden, antwortete Loos. – Vergebliche Liebesmüh, sagte ich. Wenn ich mir schon kein Bild machen kann von dieser letztlich ungekannten Frau, wie willst du dann dein Bild abrunden? – Auch Leerstellen gehören zum Text, sagte Loos, und wenn es so ist, wie du meinst, dann runde ich halt ein Phantombild ab.
    Zwölf war vorüber, als wir mein Haus erreichten. Ich war nicht müde und regte noch einen Schlummertrunk an. Loos sträubte sich nicht. Ich machte Feuer im Kamin, er stand sinnierend daneben. Er zeigte auf das Sofa und fragte, ob dies das Todeslager Tassos sei. Es sei am gleichen Ort gestanden, sagte ich, man habe es entsorgen und verbrennen müssen damals. Ich rückte die zwei Sessel zum Kamin, füllte die Cognacgläser und fragte, worauf wir noch anstoßen könnten. Auf die Geisterstunde, sagte er. – Ob er an Geister glaube, fragte ich. Er starrte in die Flammen und äußerte sich nicht. Ich schaute sein Gesicht an, das sich, flackernd beleuchtet, fortwährend zu verändern schien. Er sagte plötzlich, daß ihn das offene Feuer an eine Ballade erinnere, sie heiße Die Füße im Feuer, ob ich sie kenne. – Wir hätten sie einmal in der Schule gelesen, sagte ich, worum es gehe, sei mir nicht mehr gegenwärtig bis auf ein Detail, das mich beeindruckt haben müsse. Ob darin nicht ein Mann vorkomme, der über Nacht aus irgendeinem Grund komplett ergraut sei? – Ein Detail sei das nicht, sagte Loos und starrte weiter. Ich bat ihn, mir den Inhalt der Ballade zu erzählen. Er schüttelte den Kopf. Wenn er allein sein möchte, sagte ich, so zöge ich mich zurück, ich wisse ja, woran er denken wolle. Er könne auch hier übernachten, im Sessel oder auf dem Sofa. Er sagte leise, er sei es mir jetzt schuldig, mir endlich mitzuteilen, was sich vor einem Jahr ereignet habe, zumindest das, was seine Seele festgehalten habe. Die Zeit bis zur Entlassung seiner Frau aus dem Spital sei leer gewesen und wie stillgestanden. Daß sie vergehe, habe er nur noch am langsam sich füllenden Mülleimer erkannt. Sein Glück sei groß gewesen, als Bettina heimgekehrt sei, und doch auch wieder getrübt durch die Aussicht, sie nochmals entbehren zu müssen, denn ein Erholungsurlaub sei unabdingbar gewesen. Da eine Nachbehandlung mit Strahlentherapie et cetera sich gottlob erübrigt

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