Am Hang
bald ende. Sie könne mir den Jammer nicht ersparen, sagte sie, hingegen hätte sie anderntags frei, ob ich dann noch in der Gegend wäre. Ich sagte, ich hätte geplant, am Morgen heimzufahren, sei aber notfalls bereit, den Plan zu revidieren. Hier, für den Notfall, sagte sie, gab mir ein Visitenkärtchen und verließ die Terrasse elastischen Schritts. Du wirst dich wundern, wie ungeniert sich Eva an mich herangemacht hat, obwohl sie mit Sicherheit wußte, daß ich mit Valerie liiert war. Ich selber wunderte mich kaum, in diesen Dingen kennen Frauen nämlich keine Skrupel, ich habe das oft beobachten können. Sobald ein Mann ihr erotisches Interesse erregt, so wird ihr dessen Partnerin zur Quantité négligeable beziehungsweise zur Rivalin. Die weibliche Natur weiß nichts von schwesterlicher Rücksicht.
Schwer atmend blieb Loos stehen, in leicht gebeugter Haltung mit beiden Händen auf den Regenschirm gestützt, und da es totenstill war, hörte ich, wie er ein paarmal die Zähne aufeinanderschlug. Geht’s dir nicht gut? fragte ich. Doch, doch, sagte er, es strengt mich nur ein wenig an, dich zu bewundern. Du hast in brüderlicher Rücksicht auf Valeries Mann gehandelt, als du nach seiner Frau gegriffen hast. Du hast mit Eva, als Valerie dabei war, sich schön für dich zu machen, mit hundert Skrupeln angebandelt. Die männliche Natur ist einfach nobler, komm, gehen wir, es ist fast Mitternacht.
Nun ja, sagte ich, ich gebe zu, ganz astrein war die Flirterei mit Eva nicht, im übrigen ist nichts daraus geworden als eine heiße Schäferstunde am anderen Nachmittag, mehr hat sie offenkundig nicht gewollt. Ich habe sie manchmal noch angerufen und ein Wiedersehn angeregt, doch meine Vorschläge paßten ihr nie, und die Sache versandete still. – Und wie ging es mit Valerie weiter, fragte Loos, wie verlief der Abend mit ihr? – Gedämpft, sagte ich, obwohl sie fröhlich war wie in der ersten Zeit und überhaupt restlos erholt schien. Nur etwas war lädiert, was mir erst aufgefallen ist, als sie auf die Terrasse zurückkam. Ihr Ringfinger steckte in einem Verband, sie war, wie sie erzählte, auf einem Waldspaziergang dumm über einen Ast gestolpert, wobei es zum Fingerbruch kam, und zwar schon in der ersten Woche. Auf meine Frage, warum sie über ihren Unfall in keinem unserer Telefonate auch nur ein Wort verloren habe, erklärte sie nur, sie habe nicht wehleidig tun wollen. Wir fuhren plaudernd nach Agra, mit einer Unterbrechung in Agno, wo ich den Wagen auftanken ließ und Valerie sich Zigaretten und eine Frauenzeitschrift kaufte. In meinem Haus roch es ein wenig muffig, die Luft war dumpf, ich öffnete Läden und Fenster. Valerie umarmte mich. Ich sagte, ich müsse noch schnell einen geschäftlichen Anruf tätigen, schenkte ihr einen Cynar ein und ging in den Garten, von wo aus ich meine Sekretärin anrief, um sie zu bitten, die zwei Termine zu verschieben, die ich vereinbart hatte für den andern Tag. Als ich zurückkam, saß Valerie auf dem Sofa und blätterte in ihrer Zeitschrift. Sie fragte, ob ich wisse, wie lange eine Stubenfliege höchstens lebe. Nein, sagte ich. – Nur sechsundsiebzig Tage, sagte sie. – Ich sagte, verglichen mit der Eintagsfliege sei das ein beachtliches Alter. – Sie stand auf und umarmte mich wieder. Du fremdelst, sagte sie, was ist? – Nichts, sagte ich, ich bin ein wenig gestreßt. – Sie fragte, ob sie mich massieren solle. Ich sagte, ich sei hungrig. Wir fuhren hinunter zum Bellevue. Sie aß mit Appetit, ich eher würgend, und sie erzählte lebhaft von ihrem Aufenthalt im Kurhaus, auch davon, daß sie sich mit Eva ein wenig angefreundet habe. Wie Eva mir gefalle? Ich sagte, ich fände sie ganz nett, und dabei kam mir plötzlich ein Verdacht.
Ich weiß, was du meinst, sagte Loos, ich hatte ihn auch Momente lang, ich glaube aber, daß Valerie, so wie ich sie durch deine Schilderungen kenne, nicht fähig gewesen wäre, an Hinterlist auch nur zu denken. Sie hätte Eva nie gebeten, als Lockvogel aufzutreten, um deine Treue zu testen. – Dein Röntgenblick ist furchterregend, sagte ich, tatsächlich war dies mein Verdacht, und so wie du hab ich ihn sofort verworfen. Kurz und gut, ich hatte eigentlich vorgehabt, das Gespräch auf unser Verhältnis zu bringen und Valerie so schonend wie möglich zu sagen, daß es für mich nicht mehr stimme und daß ich den Eindruck hätte, für sie der Falsche zu sein und ihr das schuldig zu bleiben, was sie von mir erwarte. Ich schaffte es nicht.
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