Am Hang
redete. Wir tauschten jetzt erstmals die Rollen. Ich übte mich als Pessimist in Zuversicht und übernahm das positive Denken, und sie sah immer schwärzer, allerdings ohne zu klagen oder in Angst zu versinken, sondern ganz fatalistisch. Wahrscheinlich sterbe sie noch unterm Messer, sagte sie, obwohl sie darüber informiert worden war, daß operationsbedingte Todesfälle sogar bei dieser heiklen Art von Eingriff selten waren. Die Operationsletalität liegt nicht einmal bei zwei Prozent, doch meine Frau bestand darauf, zu diesen zu gehören. Als ich sie fragte, wie sie zu diesem Glauben komme, sagte sie: Der Stern will in mir bleiben, er wird sich wehren. – Mehr sagte sie nicht, mehr habe ich nicht aus ihr herausbringen können.
Es ist dann alles gutgegangen, sehr gut sogar. Man sprach von einem Idealfall, denn erstens war es dem Chirurgenteam gelungen, die Tumormasse vollständig aus dem Großhirn zu entfernen, und zweitens zeigte die Gewebeprobe, daß die Geschwulst zwar nicht absolut gutartig war, wohl aber, wie die Mediziner sagten, noch gutartig. Zu Komplikationen nach dem Eingriff kam es nicht, man durfte also ohne Übertreibung sagen, Bettina sei geheilt. So oft es ging, besuchte ich sie und hielt ihre Hand. Sie redete kaum, sie war unendlich matt, und dieser Mattigkeit schrieb ich es zu, daß ihr so oft die Tränen kamen und daß es ihr nicht gelang, sei es mit Worten, sei es mit ihren verschleierten Augen, Erleichterung und Freude auszudrücken. Du bist mir neu geschenkt, sagte ich zu ihr und war etwas betrübt, weil ihre Hand in meiner Hand fast leblos blieb.
Trat ich am Abend nach den Spitalbesuchen in unsere Wohnung, ging deren Leere in mich über. Ich saß verloren herum, und da ich unfähig war, mich sinnvoll zu beschäftigen, schaute ich stundenlang fern, empfänglich für den stupidesten Schmarren, ich hatte Angst vor dem Bett. Mein Schlaf war flach, fast nur ein Halbschlaf, aus dem ich manchmal aufschrak, geweckt von gemurmelten Liebesworten oder auch nur vom Namen Bettina, den ich, beiläufig erwähnt, immer besonders gern gehabt habe, da er so daunenweich klingt. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit, und liegt man dann plötzlich allein im Bett, so ist es, als sei man sich selbst abhanden gekommen, als könne man selbst nicht mehr atmen, weil das Atmen des anderen fehlt. Und trotzdem glaube ich, daß wir einander nie zum Requisit geworden sind, denn dieses nimmt man für selbstverständlich und behandelt es achtlos. Die dumpfe Gewohnheit, die sich, ich gebe es zu, oft in die Ehen einschleicht und dazu führen kann, daß man sich kaum noch anschaut, hat uns, wer weiß warum, verschont. Ob du es glaubst oder nicht.
Warum sollte ich es nicht glauben? – Ich weiß ja, wie du über die Ehe denkst, sagte Loos, du hast dich klar genug dazu geäußert und mir den Standardseufzer deiner Klientel verraten: Die Sache hat sich totgelaufen. Du wirst den Satz auch außerhalb der Anwaltspraxis hören, im Rahmen deiner Eskapaden, und zwar von jenen Ehefrauen, die deinem Charme erliegen, weil sie in einer totgelaufenen Beziehung leben, von dieser Amélie zum Beispiel, von der du eben erzählt hast. So wirst du pausenlos bestärkt im Glauben an die Verkehrtheit der Ehe. – Erstens hat sie nicht Amélie geheißen, sondern Valerie, und zweitens hat sie die bestehende Beziehung nicht herabgesetzt, nicht als Rechtfertigung für ihr Verhalten benutzt, zumindest nicht mir gegenüber, sie hat überhaupt nicht darüber gesprochen, so oft ich auch versuchte, ihr etwas zu entlocken. Auch über ihren Mann erzählte sie fast nichts und also auch nichts Negatives, was mich ein wenig eifersüchtig machte – so übrigens wie die Vorstellung, sie könnte weiterhin, als wäre nichts geschehen, mit ihrem Musiker schlafen. Denn daß er Musiker, genauer Cellolehrer war, das wenigstens durfte ich wissen. Und daß er Felix hieß. Du siehst, dein Beispiel ist schlecht gewählt, ich gebe aber zu, daß du zum Teil auch recht hast: Tatsächlich bin ich Frauen begegnet, die nach dem ersten Kuß schon über ihre Ehe klagten und über ihre mangelhaften Männer. Das aber ist ein Warnsignal für mich: Wenn die Beziehung nämlich lottert und zugleich ein anderer Mann auftaucht, wächst bei der Frau der Mut zum Absprung sowie ihr Glaube, der andere sei ihr Sprungtuch und fange sie auf. Das ist nicht meine Rolle. Ich lehne es ab, als ernsthafte Alternative begriffen zu werden. Ich will mich spielerisch balgen und verschweige das keiner, und wenn
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