Am Hang
dich mit Weibergeschichten und wärme Abgetanes auf. – Man wird noch gähnen dürfen, sagte Loos, das hat mit Sauerstoffmangel zu tun und nicht mit Desinteresse. Was dir belanglos erscheint, empfinde ich als Außenstehender und Amateur als spannend, gehst du zu Fuß nach Agra? – Es wird vernünftiger sein, warum fragst du? – Erstens weil die Belegschaft hier seit längerem auf unseren Aufbruch wartet, und zweitens weil ich dich begleiten möchte. Du bist mir schließlich noch die Fortsetzung sowie das Ende der Geschichte schuldig. – Gut, gern. Ich nehme an, du weißt, daß du mir auch noch etwas schuldest. – Eins nach dem andern, sagte Loos.
Ich holte meinen Regenschirm, den ich auf der Terrasse hatte stehenlassen. Loos, etwas schwankend, bat mich, ihn tragen zu dürfen, er brauche ein drittes Bein. Wir gingen durchs Dorf. Als wir die Metzgerei passierten, blieb Loos kurz stehn und sagte: Fleisch ist launisch. – Wie er das meine, fragte ich, er gab aber keine Antwort, er gab mir nach einer Weile das Stichwort zum Weitererzählen. – Ich fasse zusammen, sagte er: In dem Moment, wo Amélie sich etwas mehr Freiheit verschaffte, indem sie von zu Hause auszog, hast du die deinige bedroht gesehen, stimmt’s? – Sie hieß zwar Valerie, sonst aber schilderst du den Sachverhalt korrekt. So sehr es mich auch freute, weit häufiger als vorher mit ihr zusammenzusein, so groß war meine Sorge, daß ihr gewichtiger Schritt das bisher so wunderbar Leichte plötzlich beschweren könnte. Für eine enge Bindung bin ich nicht geschaffen, in dieser Sparte bin ich der Amateur. – Bist du denn sicher, daß sie sich das ersehnte, was dir ein Graus ist? Gab es dafür noch andere Indizien als ihren Wohnungswechsel? Hat sie zum Beispiel von Liebe gesprochen? – Das nicht, sagte ich, sie hat alles zu tun und zu sagen vermieden, wovon sie zu ahnen schien, daß es mich hätte bedrängen können. Gerade das zeigte mir ja, wie viel ihr daran lag, mich nicht zu verlieren. Manchmal versagte sie sich mir, manchmal erschien sie nicht zu einem Rendezvous – beides ohne Begründung und beides, davon bin ich überzeugt, um mir entgegenzukommen, um Unabhängigkeit und Unverbindlichkeit zu demonstrieren. Es gab noch weitere Zeichen. Ich habe schon gesagt, daß Valerie am Anfang sehr wenig von sich preisgab und ihre Geschichte Geschichte sein ließ. Das störte mich nicht, im Gegenteil, wir lebten ja gegenwärtig wie alle Berauschten. Seltsam war nur, daß sie auch später, als wir uns nahezu täglich sahen, nicht viel gesprächiger wurde. Vielleicht, wie ich vermutete, auch darum nicht, weil ich ihr in der ersten Zeit zu erkennen gegeben hatte, wie erregend es für mich sei, eine verschleierte Frau zur Geliebten zu haben. Es könnte also sein, daß sie erregend für mich bleiben wollte, indem sie sich auch weiterhin verhüllte und verschwieg. Und schließlich gab es ein drittes Indiz. Nachdem der große Taumel, bei mir zumindest, abgeklungen war, veränderte sich Valerie ein wenig. Sie wurde ernster. Die weltvergessene Beschwingtheit, die ich an ihr so mochte, wirkte auf einmal etwas bemüht. Sie alberte nicht mehr gerne herum, und wenn, dann konnte es passieren, daß sie mir unvermittelt um den Hals fiel und ein paar Tränen vergoß. Kurzum, all das hat mir Sorgen gemacht, all das schien mir zu zeigen, wie unterschiedlich unsere Wünsche plötzlich waren. Und schon vernahm ich, wenn auch erst aus der Ferne, das alte und banale Lied: Dem Mann schwebt eine Affäre vor, die Frau will eine Beziehung. Ich könnte, wollte ich bösartig sein, das Liedchen weitersingen: Erfüllt sich ihr Wunsch nach Beziehung und Dauer, nach einem verläßlichen Partner, der ihr Geborgenheit gibt, dann wird ihr früher oder später etwas zu fehlen beginnen, etwas Gewürztes, Prickelndes, Heißes. Die Frau will immer beides, und der Mann, der ihr beides sein kann, sowohl ein geliebter Gefährte als auch ein begehrter Faun, muß erst noch geboren werden.
Du wiederholst dich, sagte Loos, und eine wiederholte Halbwahrheit wird nicht zur Wahrheit. Erzähl mir lieber noch, wie du das Unheil einer festen Bindung abgewendet hast. Wie lange hat die lose überhaupt gedauert? – Ein knappes Vierteljahr, sagte ich, und ungefähr zur Halbzeit, als ich zu merken glaubte, daß Valerie zu ernsthaft an mir hing, begann ich mich rarer zu machen. Ich führte berufliche Gründe ins Feld, wir sahen uns weniger häufig. Aber eigentlich war es, wenn wir uns sahen, nach wie vor
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