Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
Vorwort
Wie die Leser meiner «Erinnerungen» wissen, bin ich in Sizilien geboren, lebe aber seit einem Menschenalter in Rom. Hier wohne ich im obersten Stockwerk eines Hauses an den Hängen des Gianicolos, des höchsten Hügels von Rom, und genieße deshalb aus dem Fenster meines Arbeitszimmers den Blick auf bedeutende Teile des alten Roms. Links sehe ich das Kapitol, nicht weit rechts davon die großen Bögen der Maxentius-Basilika, noch weiter rechts die Ruinen der antiken Kaiserpaläste auf dem Palatin und in direkter Linie, ziemlich nahe, die kleine Cestius-Pyramide bei der Porta Ostiense. Doch mein Blick fällt nicht nur auf die Ruinen des antiken Roms. Am äußersten linken Rand meines Blickwinkels erscheint die Kirche Santa Maria in Aracoeli auf dem Kapitolshügel, Kuppeln und Glockentürme von Kirchen ragen überall auf, und hinter den Ruinen des Palatins erheben sich hoch in den Himmel die Statuen auf der Fassadenbrüstung von San Giovanni in Laterano, der Bischofskirche von Rom. Mir gegenüber sehe ich greifbar nahe den Aventin mit den Kirchen Santa Sabina und San Bonifacio e Alessio, die Villa des Malteserordens und dahinter den gewaltigen Komplex von Sant’Anselmo aus dem 19. Jahrhundert, der das Internationale Seminar der Benediktiner beherbergt. Konvente und Villen verschiedener Orden und Kongregationen umgeben mein Haus. Dies ist die Stadt, von deren jüngerer Vergangenheit mein Buch handelt. Eine jahrtausendealte Stadt, in der neben den Überresten aus ihrer ältesten Zeit Hunderte von Kirchen stehen – so viele, dass man sie kaum zählen kann! Diese einzigartige Stadt wurde seit dem Untergang des Römischen Reichs über die Epochen hinweg von der katholischen Kirche geprägt, deren Zentrum sie bis heute ist und die Rom bis in die Gegenwart hinein einen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt hat.
Das Buch beginnt mit einem Kapitel über Erasmus von Rotterdam, der meines Wissens der Erste war, der den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der spirituellen und der weltlichen Gewalt der Päpste, der sich in Rom in besonderer Weise manifestierte, erkannte. Er kam Anfang des 16. Jahrhunderts aus den Niederlanden in die ewige Stadt, und wie er sind auch viele andere Fremde aus ganz Europa über Jahrhunderte nach Rom gereist. In den achtzehn Kapiteln dieses Buchs erzähle ich von den Erlebnissen und Eindrücken einiger dieser Besucher. Sie sind sehr unterschiedlich und nicht immer persönlicher Natur, aber jedes dieser Zeugnisse beleuchtet einen Aspekt des römischen Lebens in der Zeit zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert. In den Erfahrungen und Reflexionen dieser Gäste Roms, die zu verschiedenen Zeiten in die ewige Stadt kamen und kürzer oder länger hier weilten, nimmt die Präsenz der päpstlichen Kurie und das, was dies für das Leben ihrer Einwohner bedeutete, immer großen Raum ein. Rom war und blieb die Stadt der Päpste, auch nachdem es die Hauptstadt Italiens geworden war.
Während der Arbeit an diesem Buch haben mich verschiedene Personen großzügig unterstützt. Von diesen möchte ich vor allem Philine Helas, Margherita Palumbo und Giuliana Scudder nennen. Ich möchte auch nicht verschweigen, dass mir die große Berliner Privatbibliothek von Horst Bredekamp sehr nützlich gewesen ist, denn ohne die Bücher, die ich dort entdeckte, wären einige Kapitel dieses Buchs nicht geschrieben worden. Allen danke ich hier aufs Wärmste. Ein besonderer Dank gilt wie immer meiner Frau, Ingeborg Walter, mit der ich jede Seite dieses Buchs diskutiert habe. Ihr guter Rat hat das Buch, das ich den Lesern jetzt vorlege, an vielen Stellen verbessert.
Rom, im September 2012
1.
Erasmus von Rotterdam und Papst Julius II. Roms innerer Widerspruch
Seit dem Niedergang des Römischen Reichs war Rom Mittelpunkt und Antriebskraft der katholischen Christenheit. Mit der Zeit wurde es aber auch die Hauptstadt eines Staates, nämlich des Kirchenstaats, den der Papst wie ein weltlicher Souverän regierte. Dieser Kontrast bedingte und prägte die Geschichte der ewigen Stadt zutiefst. Der niederländische Geistliche und Humanist Erasmus von Rotterdam war am Anfang des 16. Jahrhunderts der Erste, der diesen inneren Widerspruch erkannte und aufs Schärfste kritisierte.
Als Erasmus im März des Jahres 1509 nach Rom kam, war er wenig mehr als vierzig Jahre alt. Er befand sich im Gefolge des schottischen Prinzen Alexander Stuart, dessen Präzeptor er war. Sein Italienisch war passabel – er sprach es mit einem
Weitere Kostenlose Bücher